Lokalsport
Die unbekannte Olympiasiegerin

Serie Was eigentlich Christine Wolf? Gutenberg, auf halber Höhe zwischen Krebsstein und Lauter, hat 720 Einwohner. Wetten: Kaum einer von ihnen weiß, dass in diesem idyllischen Örtchen eine Olympiasiegerin geboren wurde. Wie auch? Besagte Sportlerin ist vor 16 Jahren auf den fünften Kontinent ausgewandert, hat dort die zweite Staatsbürgerschaft angenommen und für Australien Gold gewonnen.

Dietmar Jauss war 30 Jahre lang Ortsvorsteher von Gutenberg. Die Wolfs sind seine Nachbarn, und er erinnert sich an das sportliche Mädchen und ihren harten Schicksalsschlag: „Mit zehn wurde bei ihr ein Tumor im Oberschenkel festgestellt. Fünf Jahre kämpften die Ärzte - leider vergeblich.“ Die damals 15-Jährige verlor ihr linkes Bein, aber weder Lebensmut noch Motivation.

„Wolfi“ fand im Behindertensport eine neue Erfüllung. Bei den Paralympics 2004 in Athen holte sie Silber für Deutschland im Weitsprung. Dort bekam sie Kontakt zu den Australiern und die Einladung, in Canberra am Ins­titute of Sport zu trainieren. Sie ließ sich nicht lange bitten, übersiedelte 2005 und wurde ein Jahr später Behinderten-Olympiasiegerin im Weitsprung sowie Dritte im 100-Meter-Lauf, nun für Australien.

Mit 30 beendete sie ihre Leichtathletik-Karriere, zog nach Cairns um und fand Gefallen an anderen Sportarten. Sie spielte Rollstuhlbasketball, startete bei Schwimmwettbewerben, fuhr leidenschaftlich gern Kajak und holte im Tischtennis 2018 und 2019 zwei australische Meistertitel.

Abwechslungsreich wie im Sport auch die Jobs, mit denen die gelernte Goldschmiedin ihren Lebensunterhalt verdient. Erst schipperte sie Touristen per Boot zur vorgelagerten Insel Queen Island. Sie managte ein spezielles Sportprogramm für Behinderte und unterstützte Schüler mit Lernschwäche. Schließlich begann sie ein Studium der Umweltwissenschaft. Das dritte Semester absolviert sie aktuell in der alten Heimat, wohnhaft bei ihrer Schwester in Ebersbach.

In zwei Monaten geht‘s zurück nach Australien in ihr Holzhaus am Regenwald, das die Eltern und der Onkel mit gebaut haben und das sie allein mit drei Hühnern bewohnt. Der Bau steht auf Holzpfählen. Einerseits wegen des feuchten Bodens, andererseits wegen der vielen Schlangen ringsherum. Keine Angst davor? Christine Wolf schüttelt den Kopf: „Ich bin tierbegeistert und mag Schlangen. Ich habe mich in die Gegend verliebt.“ Klaus Schlütter