Sie hat Allianzen geschmiedet, dicke Bretter gebohrt und zahlreiche Skeptiker abgeschüttelt. Eine Frau als hauptamtliche Führungskraft an der Spitze eines Großvereins, das war selbst in der letzten Dekade vor der Jahrtausendwende für viele Männer-Seilschaften noch immer eine Zumutung. Selbst der überregionalen Presse war sie, die deutschlandweit als eine der ersten überhaupt Geschäftsführung und Vorsitz eines Großvereins vereinte, eine Einlassung wert.
Jetzt räumt Doris Imrich nach mehr als drei Jahrzehnten als Frontfrau des VfL Kirchheim ihren Platz, und es klingt fast wie Ironie, dass mit dem neuen Geschäftsführer Moritz Hönig und dem im Frühsommer gewählten Vorsitzenden Marc Eisenmann nun zwei Männer sich den Job der langjährigen Chefin künftig wieder teilen werden.
Die Rolle rückwärts – für Imrich ist das ein durchaus logischer Schritt, denn die Herausforderungen in Kirchheims größtem Verein mit 17 Abteilungen und mehr als 4600 Mitgliedern sind gewaltig. In drei Jahren laufen die Finanzierungsverträge für das Sportvereinszentrum aus. Dann muss in Zeiten steigender Zinsen mit den Banken neu verhandelt werden. Gleichzeitig kämpft der Verein um die Rückkehr eines Hallenbads in der Stadt, um eine dringend benötigte Sporthalle und die Einrichtung eines Sportkindergartens, der als entscheidender Beitrag zur Zukunftssicherung verstanden wird.
Nimbus der ehrlichen Arbeiterin
Stachel im Fleisch sein, wo es um die Interessen des Vereinssports geht, und gleichzeitig verlässlicher Partner der Stadt – Doris Imrich hat diesen Spagat 31 Jahre lang auf ihre Art beherrscht. Mit der nötigen Hartnäckigkeit, dem sprichwörtlich langen Atem und dem Nimbus einer ehrlichen Arbeiterin, die nicht aus sicherem Abstand delegiert, sondern mittendrin anpackt. Ohne akademischen Rang wie ihr Vorgänger Werner Kuchs und mit mittlerer Schulbildung machte sich die damals 36-jährige frühere Leistungsschwimmerin am 12. Juni 1992 in einem durchweg männlich besetzten Vorstand erstmals als Geschäftsführerin und gewählte Vorsitzende ans Werk. „Mit viel Energie aber reichlich unbedarft“, wie sie rückblickend feststellt. „Ja, ich musste lange um Akzeptanz kämpfen und mir Gehör verschaffen,“ beschreibt Doris Imrich diese Anfangszeit. Dass ihre loyalsten Unterstützer und Weggefährten erfolgreiche Frauen waren, passt in diese Geschichte: Kirchheims langjährige Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker und die inzwischen verstorbene Unternehmerin Waltraud Lenhart waren zentrale Figuren mit blau-gelber DNA, die als Teil eines gleichermaßen stabilen wie einflussreichen Netzwerks auch durch Krisen trugen.
Krisen, die die Novizin an der Vereinsspitze schneller einholten als erwartet: 1994 – nur zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt – leistete die Fußballabteilung unvermittelt einen Offenbarungseid. Ein Finanzdefizit von rund 380 000 D-Mark, verursacht durch jahrelange Misswirtschaft, brachte die Vereinssparte an den Rand der Insolvenz. Dabei waren die Fußballer sportlich auf einem erfolgreichen Weg, der drei Jahre später bis in die Regionalliga führen sollte. Imrich bewies erstmals, was sie auch später auszeichnen sollte: eine klare Linie und bedingungslose Konsequenz. Die Chefin verweigerte der gesamten Abteilungsspitze die Gefolgschaft, riss das Zepter an sich und brachte den Gesamtverein gegen alle Widerstände als Solidargemeinschaft auf Linie. Die Insolvenz war vom Tisch, der VfL übernahm den Schuldendienst für ein größeres Darlehen und überstand als Schicksalsgemeinschaft auch eine zweite Schuldenwelle 17 Jahre später: 2011 rissen geplatzte Sponsorenverträge erneut ein Loch von 100 000 Euro in die Fußballkasse, was zur Folge hatte, dass der VfL auf Druck Imrichs seine Oberligamannschaft im Juli kurz vor Saisonbeginn vom Spielbetrieb abmeldete. Eine Vorsitzende zwischen allen Stühlen, die unpopuläre Entscheidungen fällen und gleichzeitig einen musste. „Sehr viele Freunde habe ich mir damals nicht gemacht“, sagt die heute 67-Jährige rückblickend. „Es ging allein darum, den Verein in seiner Existenz zu schützen. Nicht mehr und nicht weniger“.
Die Existenzfrage stellte die Vereinschefin zeitgleich bei einem ganz anderen Thema. Fünf Jahre verstrichen von der ersten Planungsidee bis zum Bau: Das Sportvereinszentrum an der Jesinger Straße entfaltete in dieser Zeit eine politische Sprengkraft, die für tiefe Risse im Gesamtkonstrukt des VfL führte. Nicht nur, weil der VfL mit dem Abriss der Stadiongaststätte und der dazugehörigen Kegelbahnen mit den Sportkeglern eine ganze Abteilung opferte. Der viereinhalb Milionen Euro teure Neubau galt vielen Mahnern als Symbol für flüchtigen Zeitgeist und Größenwahn, der den VfL endgültig in den finanziellen Abgrund zerren würde. Die Folge: unzählige Verhandlungen und hitzige Ausschussrunden, um zu verhindern, dass ganze Abteilungen in die Unabhängigkeit drängten, zwei turbulente Hauptversammlungen und sogar juristischer Streit mit Privatunternehmen, die die kommunale Bürgschaft für das Projekt letztlich erfolglos als Wettbewerbsnachteil anfochten.
Imrich stand erneut im Auge des Orkans und war am 9. Dezember 2011 mit ihren Plänen am Ziel: Nach mehr als dreistündiger Redeschlacht in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung in der Stadiongaststätte fand sich kurz vor Mitternacht eine Mehrheit von 61 Prozent, die für den Bau stimmte. Ein Freitagabend, den Doris Imrich heute als „Schicksalsstunde“ des VfL betitelt. Ohne das Sportvereinszentrum, das als eigene Abteilung heute rund 1200 aktiven Mitgliedern ein zeitgemäßes Kurs- und Trainingsangebot bietet, so ihre Überzeugung, hätte der Verein seine Zukunft verspielt. Das einzige, was sie im Nachhinein bedauert: „Dass wir damals nicht gleich größer gebaut haben.“
Jetzt ist sie weg – und doch wieder nicht. Als ehrenamtlicher Kassier bleibt sie Mitglied im Vorstand, dem sie auch im Stadtverband für Leibesübungen (SfL) angehört. In der sogenannten „Bäder-Gruppe“ mit Vertretern von Kommunen, Gemeinderat, Schulen und Schwimmverein, die einem neuen Hallenbad konzeptionell den Weg ebnen soll, hat ihre Stimme nach wie vor Gewicht. An der VfL-Spitze mit Marc Eisenmann und Moritz Hönig dagegen sind die Aufgaben neu verteilt.
Bei der offiziellen Abschieds-Matinee am vergangenen Sonntag mit zahllosen Ehrengästen und einem bunten Rahmen in der Stadthalle, hat das schon ganz gut funktioniert. Eisenmann, der als eloquenter Stichwortgeber durchs kurzweilige Programm führte, fasste es kurz: „Ich rede, und der Moritz schafft.“