Lokalsport
Echt abgefahren

Handwerkskunst Der Kirchheimer Wolfgang Hanusch hat sich einen Traum erfüllt: ein handgefertigtes Rennrad aus einem Holz, das vor vielen Jahrzehnten noch im Flugzeugbau Verwendung fand. Von Bernd Köble

Wolfgang Hanusch mit seinem Erstlingswerk, dem „Aero Spruce“ aus amerikanischem Fichtenholz.Foto: Benjamin Neglais
Wolfgang Hanusch mit seinem Erstlingswerk, dem „Aero Spruce“ aus amerikanischem Fichtenholz.Foto: Benjamin Neglais

Am Anfang war das Bier. Seit alters her Inspirationsquelle der Franken und Trägerstoff auch mancher Schnapsidee. Dass Wolfgang Hanusch einer segelflugbegeisterten Familie aus der bayerischen Rhön entstammt, dass er beim Kirchheimer Flugzeugbauer Schempp-Hirth in der Endmontage arbeitet und dort edlen Gleitern den letzten Schliff verleiht und dass er in seiner Freizeit seit einigen Jahren mit Begeisterung in die Pedale tritt, das alles hätte für sich genommen den Stein noch nicht ins Rollen gebracht. Einer Bierlaune ist es vielmehr zu verdanken, dass der 50-jährige Kirchheimer bei seinen Radausfahrten heute mal ungläubige, mal neidische Blicke auf sich zieht. Wolfgang Hanusch ist auf einem Rennrad unterwegs, das es so kein zweites Mal gibt auf dieser Welt. Handgefertigt, formschön, in edler Optik - und was das eigentlich Besondere ist: aus Holz.

Ein Rad zu bauen, das einzigartig ist, das die eigene Handschrift sichtbar macht und exakt persönlichen Ansprüchen und Körpermaßen Rechnung trägt, war schon immer Traum des gelernten Fahrzeuglackierers und Universalfräsers, wie die offizielle Berufsbezeichnung lautet. „Kaufen kann jeder“, sagt Wolfgang Hanusch und lacht. Seine Freude am Handwerk, seine kompromisslose Liebe zum Detail hätte er freilich auch mit einem Werkstoff ausleben können, der heute im Radsport wie im Flugzeugbau alltäglich ist: der Kohlefaser. Eine Epoxidharz-Allergie hielt in letztlich davon ab und irgendwann kam die Frage auf: warum nicht Holz?

Filigrane Technik von der Stange, gepaart mit großer Handwerkskunst. In seine Holzbikes hat Wolfgang Hanusch viel Liebe zum Deta
Filigrane Technik von der Stange, gepaart mit großer Handwerkskunst. In seine Holzbikes hat Wolfgang Hanusch viel Liebe zum Detail und monatelange Arbeit gesteckt. Foto: Gaby Hanusch

Der Zufall brachte das Projekt dann vollends ins Rollen. Spruce ist das Holz der nordamerikanischen Fichte. Besonders leicht, besonders stabil und deshalb zu einer Zeit von Konstrukteuren geschätzt, als Fiberglas und Kohlefaser im Flugzeugbau noch keiner kannte. Ein solcher Balken lagerte viele Jahrzehnte in einem entlegenen Winkel bei Schempp-Hirth. Dreckig, verstaubt und von allen vergessen. Für Wolfgang Hanusch war es die perfekte Basis für seinen künftigen Renner. Einen genauen Plan, räumt er ein, gab es nicht. Nur eine ungefähre Idee. „Ein paar Nächte habe ich drüber gepennt, dann ging‘s los.“

Ideen zur Formgebung, ein Teil Ingenieurswissen - das alles gab es im Internet. Der Rest ist Handwerk. Aus 24 Teilen besteht der Rahmen seines Meisterstücks „Aero Spruce“. Hohlgefräst, verzahnt und verleimt, in sechs Schichten lackiert und verblendet mit afrikanischem Wenge-Holz, der Optik wegen. Ein Kunstobjekt und Schmuckstück, das das Herz eines jeden Radliebhabers höher schlagen lässt und in dem sieben Monate Arbeit stecken. Lediglich Gabel und Sattelstütze, die in integrierten Metallhülsen stecken, sind aus Carbon. Die Ausfallenden, die das Hinterrad aufnehmen, haben Metallbeschläge. „Das sind die Stellen, wo die größten Kräfte wirken“, nennt Wolfgang Hanusch den Grund.

Flexibel und trotzdem fest

Vom Holz als Werkstoff ist der Rahmenbauer überzeugt und begeistert. „Es ist ungeheuer flexibel und trotzdem fest“, sagt er. „In dem Punkt kann es locker mit jedem Carbonrahmen mithalten.“ Bleibt die Frage nach dem, was passionierte Radler häufig am meisten beschäftigt: Was wiegt das Ganze? Mit elektronischer Ultegra-Di2-Schaltung und Carbonlaufrädern bringt das „Aero Spruce“ exakt zehn Kilo auf die Waage. Das entspricht etwa dem, was noch vor wenigen Jahren im Aluminium-Zeitalter für einen Renner als akzeptabel gegolten hätte. Die Brems- und Schaltkomponenten von der Stange sind das teuerste am edlen Unikat, das vor allem eines gekostet hat: etliche Abende in der Werkstatt. Abende, die allerdings mehr waren als bloße Arbeit. Das zeigt schon die Tatsache, dass die kleine Werkstatt, in der eine Hobby-Stichsäge und eine Oberfräse die einzigen maschinellen Hilfsmittel sind, integrierter Teil der Wohnung ist. Eine Kreativstätte, an die sich Wolfgang Hanusch gerne zurückzieht.

Inzwischen ist er zum Wiederholungstäter geworden. Es gibt ein zweites Exemplar, das wie das Erstlingswerk als dekorativer Raumteiler im Wohnzimmer steht. Mit dem filigraneren „Gravel Wood“ hat er seiner Frau einen Crosser mit klassischer Rahmen-Geometrie und aus heimischem Ahorn sozusagen auf den Leib geschneidert. Das „Aero Spruce“ aus dem Holz des legendären Gö-3 Minimoa-Gleiters, den Schempp-Hirth bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs baute und dessen Silhouette später zum Firmenlogo wurde, bleibt einzigartig. Trotzdem sagt Hanusch: „Im Prinzip kommt jedes Holz infrage, das langfaserig, gut abgelagert und frei von Rissen ist.“ Dabei sind beide Räder alles andere als reine Deko-Exemplare. Der hölzerne Renner hat inzwischen 1 500 Kilometer abgespult. Mit 70 Sachen steil bergab, durch Schlaglöcher, über Rüttelpisten und durch Wasserläufe. Am Anfang habe er die Räder echten Härtetests unterzogen. Knackt da etwas? Läuft die Kette rund? Funktioniert die Schaltung exakt? Alles kein Problem, obwohl er sagt: „Ich hatte vorher keine Ahnung von Fahrradtechnik. Irgendwann habe ich mir gesagt, jetzt fängst du an und baust.“

Filigrane Technik von der Stange, gepaart mit großer Handwerkskunst. In seine Holzbikes hat Wolfgang Hanusch viel Liebe zum Detail und monatelange Arbeit gesteckt. Foto: Gaby Hanusch

Ein drittes noch, ein „Gravel-Bike“ für sich selbst, dann soll erst mal Schluss sein. Mit seiner Idee in Serie zu gehen, Geld damit zu verdienen, kommt für Hanusch nicht in Frage, schon allein aus Haftungsgründen. „Ich habe einen Beruf und einen Arbeitsplatz, der Spaß macht“, sagt er. „Was will ich mehr?“ Wie viel Perfektionismus und Pedanterie man mitbringen muss, um als Rahmenbauer erfolgreich zu sein? Wolfgang Hanusch grinst. „Ziele braucht man schon, sonst wird das nix.“