Stuttgart. Gewalterfahrungen im organisierten Sport sind eindeutig keine Einzelfälle. Zu diesem Schluss kommt die bundesweit bisher größte Studie im Breitensport, gefördert vom Landessportverband (LSVBW) gemeinsam mit der Sporthochschule Köln und der Ulmer Uniklinik, die am Wochenende abschließend vorgestellt wurde. Befragt wurden mehr als 4 300 Vereinsmitglieder in mehr als 300 Sportverbänden deutschlandweit. Das erschreckende Ergebnis: Psychische Gewalt in Form von Erniedrigungen, Bedrohungen oder Beschimpfungen haben 63 Prozent der Befragten im Vereinssport schon erlebt, rund ein Fünftel war schon einmal sexualisierter Gewalt ausgesetzt, bei der es zu körperlichen Übergriffen kam. Die allermeisten davon sind Mädchen oder Frauen. Davon besonders stark betroffen ist der Leistungssport. Gleichzeitig kommt die Studie zu dem Schluss, dass Sportvereine dringend eigene Schutzkonzepte brauchen – und zwar alle. „Vereine sollten dringend nach Wegen suchen, wie sie proaktiv und gut sichtbar auf diejenigen zugehen können, die Rat und Unterstützung bei Gewalterfahrungen benötigen,“ betont Dr. Bettina Rulofs von der Sporthochschule in Köln. Bisher verfügt allerdings nur die Hälfte der befragten Sportverbände über nach außen sichtbare Anlaufstellen für Betroffene.
Das Problem hat der Sport freilich nicht exklusiv. Sexualisierte Grenzverletzungen finden häufiger außerhalb des Vereinssports statt und sind ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Auch darauf weist die Studie hin. „Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass der Sport eine besondere Verantwortung hat,“ meint der LSVBW-Beauftragte Andreas Schmid.
Schon deshalb, weil es sich bei den allermeisten Beispielen um keine Altfälle handelt. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen ist unter 30 Jahren. Für Dr. Marc Allroggen vom Universitätsklinikum in Ulm beseitigt die Studie die letzten Zweifel: „Damit wird sich kein Verein mehr darauf berufen können, dass es sich um Einzelfälle handelt und nur wenige Vereine betroffen sind,“ stellt er klar. Bernd Köble