Kirchheim. Farbe bekennen, nicht lange um den heißen Brei reden. Solche Trainer sind sympathisch. Alles andere als ein klares Bekenntnis zur Favoritenrolle würde man Emir Seferagic und seinem Kollegen Benjamin Brack wohl auch nicht abnehmen. Der eine im zweiten Jahr in Grabenstetten, der andere vor seiner dritten Saison in Unterensingen. Eine magische Zahl, wenn man traditionsgläubig ist und wie Brack die Handball-Leidenschaft schon in die Wiege gelegt bekam. Drei Jahre, länger hat der Papa schließlich selten für sein Meisterstück gebraucht. Ob mit Scharnhausen, Pfullingen oder dem HBW Balingen-Weilstetten, die Rolf Brack alle im dritten Jahr ins Handball-Oberhaus führte.
Ein solches Erbe hat Emir Seferagic zwar nicht im Gepäck, dafür hat Grabenstettens Trainer ein Faible für einfache Rechnungen: Mit den beiden letztjährigen Aufsteigern TV Bittenfeld II und TSV Zizishausen sind die schwersten Brocken ausgeräumt, und von oben kam in diesem Jahr nichts runter. Ergo: „Wer, wenn nicht wir, soll in diesem Jahr mit den Ton angeben?“, sagt Seferagic. Dass sich beide Trainer gegenseitig die Hauptrolle zuschanzen wollen, ist wohl nicht mehr als übliches Taktieren. Beide Teams haben im Pokal zuletzt gegen höherklassige Gegner überzeugt. Seferagic setzt in Grabenstetten auf eine eingespielte Mannschaft, sein Kollege Brack wagt in Unterensingen den Neubeginn mit fünf vielversprechenden Neuzugängen. Darunter mit Richard Agbonifo vom badischen Landesligisten SV Langensteinbach ein wurfgewaltiger Linkshänder, der schon in der zweiten italienischen Liga am Ball war, oder mit Christian Sieger von der TG Nürtingen ein klassischer Spielmacher. Den Laden hinten dicht machen soll die neue Nummer eins im Tor: Engelbert Eisenbeil wechselte im Winter vom Württembergligisten TSV Wolfschlugen nach Neuhausen/Filder in die Regionalliga.
Bracks größte Sorge: Die Mannschaft muss sich erst finden. „Ich hoffe, dass wir anfängliche Abstimmungsprobleme durch individuelle Klasse wettmachen können“, hofft er. Viel Zeit zum Warmlaufen bleibt ihm und seiner Mannschaft nicht. Schon am dritten Spieltag kommt es in Grabenstetten zum ersten Gipfeltreffen. Dort kann sich Emir Seferagic bereits dem Feinschliff widmen. Seine Formation ist unverändert, war zudem in der Vorbereitung erstmals komplett beisammen. Das hat sich ausgezahlt. „Wir sind insgesamt stabiler geworden“, so sein Urteil, „und auf allen Positionen inzwischen doppelt besetzt.“ Kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit angesichts des hohen Tempos des letztjährigen Dritten, der die schnelle Mitte über 60 Minuten praktiziert und dessen blindes Verständnis vor allem darauf beruht, dass man den Nebenmann schon seit der Jugend kennt. Die große Leistungsdichte auf der Alb wird an einem Beispiel deutlich: Owens Neuzugang Fabrizio Mosca, auf dessen Schultern beim Ligakonkurrenten fast alle Hoffnungen im Rückraum ruhen, war auf Halblinks in Grabenstetten nur dritte Wahl. Doch auch Seferagic ist nicht frei von Sorgen. Kreisläufer Philipp Staiger, wichtigster Mann im offensiven Abwehrverbund, steckt im Studium und fällt fürs Training wochentags aus.
Spannung verspricht das breite Mittelfeld in der Landesliga, das hinter den beiden Topfavoriten beginnt und angeführt wird vom Team Esslingen – für viele der Geheimtipp. Das liegt vor allem an einem Namen, der beim Tabellensechsten der letztjährigen Saison ein Mehr an spielerischer Klasse verspricht: Vom Oberliga-Absteiger TSV Deizisau wechselte Fabian Freiwald in die Kreis-Kapitale. Der 26-Jährige, der bei den Deizisauern schon zu Regionalliga-Zeiten eine tragende Säule im linken Rückraum war, tritt aus Rücksicht aufs Studium in diesem Jahr kürzer. Da kam der Ruf des Papas gerade recht. Dass seine Mannschaft das Zeug hat, die Konkurrenz mächtig zu ärgern, weiß Team-Trainer Thomas Freiwald nicht erst seit dem Turniersieg auf dem Esslinger Marktplatz. Dort warfen die Gastgeber mit der HSG Ostfildern und dem TV Plochingen gleich zwei Württembergligisten aus dem Rennen, und der Filius war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht an Bord. Vater Freiwald spürt keinen Druck, fühlt sich vielmehr wohl in der komfortablen Lauerstellung: „Mein erstes Ziel sind 20 Punkte“, sagt er, „danach sehen wir weiter.“
So oder so ähnlich dürften auch die letztjährigen Tabellennachbarn aus Kirchheim, Owen und Schorndorf denken. Beim VfL geht der Blick im zweiten Jahr nach oben, während die Owener Notformation vor einer völlig ungewissen Zukunft steht. Waiblingen, Schmiden und Heiningen haben als Spielorte indes eines gemeinsam: Dort schickt man die zweite Garde in der Landesliga an den Start. Jeder erfahrene Trainer weiß: Perspektivteams sind immer gefährlich. Das gilt in diesem Jahr vor allem für den TSV Schmiden, dessen zweite Mannschaft vergangene Saison mühelos durch die Bezirksliga spazierte und im Vorbeigehen auch gleich den Bezirkspokal abräumte. Das Team aus dem Remstal kommt als solider Mix aus jungen und erfahrenen Spielern daher, mit einigen Nachwuchskräften, die zum erweiterten Kader des BW-Oberligisten gehören.
Potenzielle Prügelknaben, wie es sie im Vorjahr zum Leidwesen des TV Plochingen II gab, sucht man in diesem Jahr wohl vergeblich, auch wenn die Aufsteiger TV Reichenbach, HSG Wangen/Börtlingen und der letztjährige Staffel-3-Vertreter TSV Dettingen/Erms geschäftsmäßig tiefstapeln.