Kirchheim. Leibhaftig ist er ihr nie begegnet und dennoch hätte er sie um ein Haar in den finanziellen Ruin getrieben. Lance Armstrong ist schuld daran, dass Heike Noever sich mit 18 Jahren ihr erstes Rennrad gekauft hat. Danach war sie fast pleite. Verübelt hat sie es dem siebenmaligen Tour-Sieger bis heute nicht. Im Gegenteil: Die Weilheimerin, die bis dahin gelegentlich und „nur zum Spaß“ auf dem Tennisplatz zu finden war, legte einen Blitzstart hin und bestritt zwei Jahre später ihr erstes Bundesligarennen. Nicht ohne kräftig Lehrgeld zu bezahlen. Trainingspläne gehorchten dem Prinzip Versuch und Irrtum, im Rennen brach sie anfangs häufig ein, weil die Grundlage fehlte. Doch jede Erfahrung zählt – auch die schlechten.
Sportlich gesehen ist die „Auszubildende im vierten Lehrjahr“ inzwischen deutlich reifer geworden. Sie kennt ihre Stärken und weiß sie richtig einzusetzen. „Eine Bergziege werde ich wohl keine mehr“, meint die 21-Jährige, die in Künzelsau BWL und Marketing-Managment studiert, mit einem Lächeln. Dafür hat sie mit ihren 1,84 Metern Körpergröße die nötigen Hebel, um auf welligem Terrain ordentlich Druck auf die Pedale zu bringen. Das sind geschätzte Qualitäten, wenn man sich wie sie zunächst noch in den Dienst der Mannschaft stellen muss. Die heißt seit diesem Jahr Team Stuttgart und markiert nach dem RSV Schmiden und dem Team Albstadt ihre dritte Sprosse auf der sportlichen Erfolgsleiter. Die 1995 gegründete Straßen-Equipe aus der Landeshauptstadt, bei der schon Mountainbike-Weltmeisterin Sabine Spitz und die österreichische Staatsmeisterin Christiane Söder unter Vertrag standen, hat mit der erst 19-jährigen Johanna Badmann ein Riesentalent in ihren Reihen. Ihr gilt das Hauptaugenmerk in der Bundesliga, bei der Straßen-DM Ende Juni und wohl auch am Sonntag auf dem Alleenring.
Für Heike Noever ist es der dritte Start bei ihrem Heimrennen. Ein Flachkurs, der ihr eigentlich liegen müsste, wären da nicht die zahlreichen Schikanen, die gute Steuertechnik verlangen. „Mit häufigen Rhythmuswechseln und engen Kurven tue ich mich noch immer schwer“, gesteht sie. In diesen Wochen kämpft sie nicht nur gegen die Erfahrung der Konkurrenz, sondern auch gegen die Schranke im Kopf. Seit sie bei einem Rennen im Saarland kurz vor Ostern in einen Sturz verwickelt war, fährt die Psyche mit. Ein im Frühjahr verschleppter Infekt und eine Pollenallergie sind weitere Gründe, weshalb es mit den erhofften Platzierungen bisher nicht geklappt hat. Aber wer weiß, „die Saison ist noch lang“, sagt sie und vielleicht platzt ja gerade am Sonntag in Kirchheim der Knoten.
Gute Erinnerungen knüpft Karsten Vesterling ans Rennen vor der eigenen Haustür. Hier gelang ihm 2006 mit dem Sieg im Rennen der B/C-Amateure der Aufstieg in die A-Klasse – sein bisher größter Erfolg. Im Elitefeld des Hauptrennens war er immerhin schon Elfter. Sich nicht zu verstecken, wann immer sie sich bietet, die Chance ergreifen, das ist vor heimischem Publikum Ehrensache. Das war nicht immer möglich. Während der vergangenen vier Jahre im Trikot des Activity Racing Teams aus Schmiden sah sich der Lenninger häufig in der Helferrolle und fühlte sich nicht selten ausgebremst. Seit vergangenem Jahr ist Schluss. Nicht nur beim Activity-Team, dem nach einigen Querelen fast die gesamte Stammbelegschaft abhanden kam. Auch Vesterling fährt 2011 wieder in eigener Regie und mit Lizenz des Vereins Radsport Kirchheim. Damit ist er nicht nur einziger Starter im Trikot des Veranstalters, sondern auch einer, der besonders motiviert ist.
Alte Freiheiten neu entdeckt – soll heißen: keine Stallorder mehr, keine taktischen Spielereien. „Wenn ich mich gut fühle, riskiere ich etwas.“ Eine Top-Ten-Platzierung wäre ein Erfolg. Einmal ist ihm das in dieser Saison bereits gelungen: Im badischen Kehl wurde er Anfang April Achter. Ein gutes Omen, denn früh in Form war er in der Vergangenheit selten. Das trockene und milde Frühjahr, ein Winter ohne Erkältungen, das sind unterm Strich etliche Grundlagenkilometer mehr auf dem Konto. Viel wichtiger noch: „Ich habe wieder Spaß am Ganzen und suche mir meine Rennen aus.“ Statt mehr als 40 Pflichtterminen wie im vergangenen Jahr stehen 2011 auch Schmankerln wie die DM Berg auf den Höchsten im Kalender oder die deutschen Hochschulmeisterschaften. 2012 will er sein Studium der Wirtschaftswissenschaften beenden, was danach kommt, ist offen. „Gut möglich“, sagt der 27-Jährige, „dass dies meine letzte Saison ist.“