Lokalsport
Ein Sprinter wechselt zum Marathon

Existenzgründung Der einst schnellste Deutsche, Tobias Unger, will als Geschäftsmann mit eigenem Sportcenter zeigen, dass er einen langen Atem hat. Von Klaus Schlütter

Die Zahlenfolge, die auf einer Plakatwand mitten im Kirchheimer Gewerbegebiet prangt, sorgt zunächst für Verwirrung. Selbst bei Insidern der Leichtathletik-Szene dauert es geraume Zeit, bis es „Klick“ macht: 20,20 Sekunden ist der deutsche Rekord über 200 Meter, seit 15 Jahren gehalten von ­Tobias Unger. 2020 ist auch das Jahr, in dem der 17-malige Deutsche Meister und Hallen-Europameister mit 41 Jahren beruflich ein neues Kapitel aufschlägt: als Betreiber eines Fitness- und Trainingszentrums. Dessen vielsagender Name: „2020 by Tobias Unger“.

Promi-Gäste wie die rumänische Weltklasse-Weitspringerin Alina Rotaru oder Ex-VfB-Trainer Tayfun Korkut verschafften sich bei der offiziellen Einweihung einen Eindruck von den Trainingsräumen in einer Fabrikhalle im Gewerbegebiet. Dabei stehen nach dem ersten Bauabschnitt erst 500 Quadratmeter Trainingsfläche innen und weitere 110 im angebauten Außenbereich zur Verfügung. Der größere Teil des Studios mit Wellness-Angeboten - unter anderem vier Saunen - auf rund 1 000 Quadratmetern ist noch im Bau und soll spätestens im März 2021 in Betrieb genommen werden. Auf dem Studio entsteht eine Penthouse-Wohnung, in welcher der Chef in Zukunft über „seinem Reich“ thronen wird.

Tobias Unger folgt mit seinem Mehr-Millionen-Projekt einem allgemeinen bundesweiten Trend. Die Branche verzeichnet einen Mitgliederstand von rund 12 Millionen, ist damit fast doppelt so groß wie der Deutsche Fußballbund (6,9 Millionen). Tendenz steigend. Angefangen hat alles vor 170 Jahren. Der schwedische Arzt und Physiotherapeut Gustav Zander war mit einer „apparategestützten Trainingstherapie“ der Vorläufer der modernen Studios.

Auch in Kirchheim sind sie in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Wird sich der neue Kontrahent in der Hans-Böckler-Straße auf Dauer behaupten können? Unger ist sich seiner Sache sicher. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt er mit gewinnendem Lächeln. Für ihn spricht allein schon sein berühmter Name. Bereits jetzt, wo das Studio noch auf Sparflamme kocht, haben seine sechs Kurs- und vier Flächentrainer alle Hände voll zu tun. Unter anderen mit den Basketballern der Kirchheim Knights. Oder mit Philipp Corucle, in dieser Saison schnellster Sprinter im Ländle.

Für Tobias Unger, der mit Trainerin Melanie Schäfer die Geschäftsführung übernimmt, hat mit dem Job der dritte Lebensabschnitt begonnen. Erst war er erfolgreicher Leistungssportler, der sich zweimal für Olympische Spiele qualifizierte (2004 und 2008). Dann sieben Jahre lang Athletik-Trainer beim VfB Stuttgart vom Nachwuchs bis zu den Bundesliga-Profis. Nebenbei ist er noch immer in Diensten der Kirchheimer Zweitliga-Basketballer.

Nun ist er verantwortlich für „ein spannendes Kapitel mit einer großen Familie“, wie er selber sagt. Wenn es die Zeit erlaubt, wird er sich auch als Trainer einbringen. Und nebenbei an der eigenen Fitness arbeiten, die seit dem Karriereende 2014 etwas verloren gegangen ist. Auf sein damaliges Kampfgewicht von 75 Kilogramm hat er etliche Kilos drauf gepackt, von denen er in der momentanen Stressphase mit wenig Schlaf und viel psychischer Belas­tung allerdings auch zehren kann.

Bis der einstige „Schwabenpfeil“ sein künftiges Domizil auf dem Dach des Gebäudes beziehen kann, wohnt er vorübergehend in Köngen. Dort, wo sein ­langjähriger Coach und Freund Micky ­Corucle zu Hause ist. Der hat in Zukunft noch eine reizvolle Aufgabe für seinen einstigen Schützling in petto: „Ich bin jetzt 58 und möchte, dass er mal mein Nachfolger wird. Zum Einarbeiten erst als Assistent, dann als hauptverantwortlicher Landestrainer im Sprint“. Für „Tobi“ noch „ganz weit weg“, generell jedoch nicht ausgeschlossen: „Wenn’s irgendwann mal zeitlich passt, warum nicht?“