Man nehme einen gezähmten Rebellen, dem Alkohol und Drogen fast das Leben gekostet hätten, mehrere Spitzenathleten, die sich vom puren Leistungsgedanken im Radsport verabschiedet haben und den Chefredakteur des auflagenstärksten Bike-Magazins in Europa. Heraus kommt „Burning Hearts“, plakativer Ausdruck eines Lebensgefühls, das irgendwann auch zum Geschäftsmodell werden soll. Nicht nur in Kirchheim, wo die Idee entstand, sondern deutschlandweit.
Das flammende Herz hinterm stilisierten Kettenblatt riecht schwer nach Motorrad-Gang und Heavy Metal. Ein Vergleich, der nicht ganz unbeabsichtigt ist, auch wenn bei den Mitgliedern von „Burning Hearts“, die sich scherzhaft „Cycling Outlaws“- die Gesetzlosen - nennen, die PS ausschließlich in den Beinen sitzen. Es soll zeigen: Wir sind anders. Naturverbunden, sportbegeistert, aber eben nicht auf Leistungsdaten fixiert. Die Rock‘n‘ Roller unter den Mountainbikern. „Wir wollen nicht auf Puls- und Wattwerte starren“, sagt ihr Gründer Stephan Gerlach. „Sondern Leute finden, die eine Geschichte zu erzählen haben.“
Seine Geschichte geht so: Mit 13 Jahren Landesmeister seiner Altersklasse im Tennis, Vorzeigeschüler, behüteter Junge in einer intakten Familie. Nach dem Abitur der Ausbruch: Partys, Alkohol und Drogen, Perspektivlosigkeit, Depressionen. Mit 31 Jahren bringen ihn mehrere Embolien fast ins Grab. Gerade noch rechtzeitig findet Stephan Gerlach die Tür nach draußen - und den Weg aufs Rad. Extrem ist er auch damit unterwegs, doch der Sport hat ihn zurückgebracht ins Leben. Heute ist Gerlach 43 Jahre alt. Seine Liebe zum Draußensein, zur Natur und zur Alb teilt er mit seiner Lebensgefährtin Sarah Bauer. Die deutsche U-19-Meisterin und WM-Dritte von 2013 stammt aus Raidwangen und entschied sich bereits im Juniorinnen-Alter gegen eine Karriere als Profi. Sie lebt wie Gerlach heute in Kirchheim.
Etwa 30 Mitglieder bisher
Rund 30 Mitglieder umfasst der harte Kern von „Burning Hearts“. Darunter viele ambitionierte Biker wie der Freiburger Langstreckenspezialist Björn Hermann. Es gibt eine eigene Trikot-Linie, hergestellt von einem regionalen Radsport-Bekleider, ein eigenes Rennteam und demnächst auch eine mobile Kaffee-Bar, über die man auf Veranstaltungen, Messen oder einfach an bei Bikern beliebten Streckenpunkten ins Gespräch kommen will. Dazu trägt auch Henri Lesewitz bei. Der Chefredakteur des Bike-Magazins mit Sitz in München ist nicht nur selbst ein versierter Mountainbiker, sondern Teil und Förderer des Projekts. „Wir wollen die Idee von Stadt zu Stadt tragen“, sagt Stephan Gerlach. Und damit Geld verdienen? „Wenn‘s passiert, ist‘s o.k.“, meint er. „Wenn nicht, brennen wir trotzdem dafür.“ Für ihn ist Mountainbiking, wie er sagt, in erster Linie noch immer Therapie.
Das gilt auch für eine andere hochtalentierte Radsportlerin, die ihre Karriere im Nationalkader nach mehreren gesundheitlichen Rückschlägen vor sieben Jahren beendet hat. Heute sitzt Romy Schmid noch immer in jeder freien Minute im Sattel ihres Mountainbikes. Auch sie hat sich vom Leistungsdruck befreit und ihre Leidenschaft dabei bewahrt. Die 26-Jährige aus Holzmaden hat Präventionstherapie und Rehabilitationswissenschaften als Bachelor-Studium absolviert und eine dreijährige Ausbildung zur Physiotherapeutin draufgesattelt.
Inzwischen ist sie selbst ein Reha-Fall. Nach einem unverschuldeten Zusammenprall mit dem Fahrer eines Pedelecs, der danach Unfallflucht beging, leidet sie seit Juli vergangenen Jahres unter Nervenschädigungen als Folge eines Fußwurzelbruchs. Autofahren kann sie noch immer nicht - Radfahren schon. Mithilfe einer für sie angefertigten, speziellen Schiene. „Burning Hearts“ ist auch für Romy Schmid Ausdruck eines Lebensgefühls und zurzeit vor allem: Therapie und „brutale Motivation“, wie sie sagt. Stephan Gerlach kennt sie seit ihrer Zeit, als sie in der U17 noch Rennen in Serie gewann. Auch bei ihr rebellierte irgendwann der Körper, allerdings aus einem ganz anderen Grund: Eine angeborene Herz-Rhythmusstörung, zwei Operationen, Pfeiffersches Drüsenfieber, das alles hat sie auf dem Weg nach ganz oben immer wieder ausgebremst, aber im Leben nicht aus der Bahn geworfen.
Deshalb steigt sie wie immer aufs Rad, obwohl sie kaum gehen kann. Sich unterkriegen lassen ist keine Option. Das war früher so und ist jetzt nicht anders. Wenn das alles vorbei ist, will sie für „Burning Hearts“ Fahrtechnikkurse und geführte Touren anbieten. Für Leute, die wie sie das Biken lieben, ohne dass es dabei nur um Leistung geht. „Bike, Coffee, Rock‘n‘ Roll“, wie der Untertitel von „Burning Hearts“ verspricht, trifft auch ihren Lebensnerv. Obwohl das mit der coolen Musik so eine Sache ist. „Als Kind hatte ich klassischen Ballettunterricht“, meint Romy Schmid und lacht. „Und außer Blockflöte nie ein Instrument gelernt.“