Lokalsport
Fußball-Schiris in Not: „Wir müssen neue Wege gehen“

Fußball Um die rückläufigen Schiedsrichter-Zahlen zu stoppen, soll ein verändertes Konzept für Neulinge frischen Wind bringen. Von Reimund Elbe

Samstagmorgen in der Turnhalle des Nürtinger Hölderlin-Gymnasiums. In einem Korb liegen frisch gebackene Brezeln, es duftet nach Kaffee, auch kalte Getränke stehen bereit, auf zwölf kleinen Hockern sitzen, mit dem gebotenen Mindestabstand, Jugendliche sowie Männer zwischen 14 und 55 Jahren – so stellt sich die Szenerie dar beim ersten Schiedsrichter-Neulingslehrgang in Präsenzform nach rund zweijähriger Durststrecke.

Die Pandemie hat nicht nur die aktiv kickende Szene hart getroffen, sondern auch die Spiele leitende. Dass es ein Überangebot an Unparteiischen gebe, ließ sich bereits vor der Coronakrise nicht behaupten. Nun herrscht absoluter Zugzwang. „Wir wollten unbedingt, dass dieser Kurs stattfindet“, betont Steffen Müller, Chef der Schiedsrichtergruppe Nürtingen, der auch die Referees der Teckregion angehören.

Erst Online, dann Präsenz

So ungewöhnlich es auch klingt: Die Krise entpuppt sich nun als Impulsgeber, als Startschuss in ein digitales, flexibleres Zeitalter. „Früher gab es sieben, acht klassische Lehrabende mit viel Theorie“, erinnert sich Müller, nun soll ein verändertes Konzept namens „Neulingskurs 3.0“ die Krise mit bewältigen helfen. Nach einem virtuellen Einstiegsabend übten und lernten die Kandidaten zunächst online auf einer Plattform. Das Nürtinger Präsenztreffen lieferte den nächsten Schritt plus eingebauter Zwischenprüfung. Ein Praxisteil auf dem Nürtinger Wörth beendete kurz danach Part eins des Kursblocks. Im zweiten Teil leiten die Neuen dann im Frühjahr drei Spiele in der D- und C-Jugend – jeweils, das ist neu, mit einem Paten an der Seite, in Person eines routinierten Referees. Der dritte und letzte Kursteil folgt Ende des Frühjahrs.

Ein Lichtblick für Obmann Müller: Von den zwölf aktuellen Kursteilnehmern wollen nach eigenem Bekunden immerhin acht tatsächlich dauerhaft Schiedsrichter werden, vier absolvieren den Kurs nach eigenem Bekunden zwecks Muss beim Trainerschein. Ihsan Mustapha heißt der Älteste beim Meeting am Hölderlin-Gymnasium, an dem unter anderen einst der heutige Fußball-Kommentator Wolff-Christoph Fuss sein Abitur ablegte. „Ich habe selbst gekickt, bin jetzt Trainer“, erzählt der 55-Jährige. Ihm gehe es darum, „ein besseres Verständnis für die Unparteiischen zu entwickeln und das Regelwerk besser kennenzulernen“ – und zudem darum, selbst ab und an zur Pfeife zu greifen.

Konstantinos Aslanidis vom TSV Oberlenningen hat sich die Trainer-B-Lizenz vorgenommen, benötigt dafür zwingend einen Schiri-Kurs. „Allerdings pfeife ich gerne diese Spiele, diese kann mein Verein anrechnen lassen“, sieht der in Tübingen Studierende zudem Pluspunkte für seinen Heimatklub TSVO. Ob er bei der Pfeiferei hängenbleiben könnte? „Mal schauen“, bleibt Aslanidis vorsichtig.

Marcel Hitzer, Coach der Neidlinger „Zweiten“, benötigt den Kurs ebenso für einen Trainerschein. „Es tut prinzipiell gut, die andere Seite zu sehen“, erhofft sich der 27-Jährige grundsätzlich einen erweiterten Blickwinkel.

Die andere Seite: Das sind die Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen – in der Högy-Turnhalle vertreten durch den Referenten Holger Böhm, einem der bekanntesten Lehrwarte des Württembergischen Fußballverbandes, und Seminarleiterin Serafina Guidara aus Wendlingen. „Das neue Konzept für Neulinge klingt spannend“, verspricht sich der Kirchheimer Böhm frischen Wind und mehr Attraktivität für die Neulingsgewinnung, das Konzept könne der Szene durch seine Flexibilität womöglich neue Impulse geben.

Beim Einsteigerkurs in Nürtingen gibt es auch diejenigen, die es richtig wissen wollen – wie Julian Moser. „Ich habe beim Fußball häufig was gegen die Schiedsrichter gesagt, nun will ich es besser machen“, sagt der erst 14-Jährige keck. Der Neckartailfinger Benjamin Rieger (32) kann nach den Spätfolgen eines Kreuzbandrisses nicht mehr ernsthaft kicken, will nun als Schiri „der Szene erhalten bleiben“.

Und es gibt noch die Rückkehrer wie Florian Dorner vom TSV Raidwangen. Als Jugendlicher sei er schon mal Schiedsrichter gewesen, so besitzt der 30-Jährige zumindest schon ein gewisses Wissensfundament. Nun höre er langsam mit dem Kicken auf und wolle wieder einsteigen. Sein Ansatz: „Wenn man als Schiri ordentlich leitet, läuft ein Spiel von selbst und macht Spaß.“

Frische Impulse soll derweil auch ein Förderkader bringen. „Vier bis sechs Spiele pro Halbserie sind für den Förderkader vorgesehen“, erläutert Schiedsrichter-Obmann Steffen Müller. Erfahrene Unparteiische der Schiedsrichtergruppe sollen als Coach wirken, schauen sich Partien an. Auch unter dem Aspekt, wie der junge Referee das Spiel leite und wie er seine persönliche Ausstrahlung auf dem Platz noch verbessern kann. „Wir müssen neue Wege im Schiedsrichterwesen gehen“, weiß Schiedsrichter-Obmann Müller – ob sie erfolgreich sein werden, wird sich wohl erst in ein, zwei Jahren zeigen.