Es gibt Tage in einer Klub-Historie, die geben deutlich mehr als eine Randnotiz her. Das vergangene Wochenende gehört für die Fliegergruppe Wolf Hirth zweifelsohne dazu. Himmel und Hölle, Frohsinn und Niedergeschlagenheit, Nachdenklichkeit und Freude: Irgendwo mittendrin pendeln aktuell gefühlsmäßig die Mitglieder des renommierten Kirchheimer Flugvereins.
Zunächst der Genickschlag: Erstmals in der 54-jährigen Geschichte musste der internationale Hahnweide-Segelflugwettbewerb abgesagt werden. Internationalität? In der Corona-Pandemie im Sportbereich momentan undenkbar. Bittere Stunden folgen. Allein über 20 000 Euro Startgelder fließen beim Event normalerweise in die Klub-Kasse, von dem sportlichen und gesellschaftlichen Stellenwert der Traditionsveranstaltung ganz zu schweigen. „Doch auch alle anderen internationalen Wettbewerbe sind aufs kommende Jahr verschoben“, sagt Segelflug-Weltmeister Tilo Holighaus - der sonst prall gefüllte Flug-Kalender ist nicht nur bei ihm mit vielen leeren Seiten und Streichungen versehen - auf die Titelverteidigung muss der Kirchheimer bis 2021 warten.
Dass nun ausgerechnet am geplanten Hahnweide-Eventwochenende etwas Leben auf die weitläufige Anlage zurückkehrte, macht die Story zu einer der ganz besonderen und auch kuriosen Sorte. Die jüngsten Lockerungsmaßnahmen in der Coronakrise erlauben es den Fliegern, zum kontrollierten Steigflug anzusetzen. Die vom Baden-Württembergischen Luftfahrtverband (BWLV) im März verordnete Ruhepause als Solidaritätszeichen in der Coronakrise? Vorerst ad acta gelegt. „Alles war im Segelflugsport auf null gestellt. Deshalb wollen wir die Saison vorsichtig in Bewegung bringen“, sagt Lars Reinhold, Öffentlichkeitsarbeiter des Klubs und selbst Kunstflieger.
Anmeldung beim Flugleiter
In den kommenden drei Wochen werde sinngemäß auf Sicht geflogen. Der Verband habe einen Hygieneleitfaden vorgelegt, den die Wolf-Hirth-Fliegergruppe vereinsintern noch verfeinert hat und nun umsetzt. Das Sicherheitspaket enthält vieles, was auch aus weiteren „kontaktlosen“ Sportarten und anderen Lebensbereichen bekannt vorkommt: vermehrt Desinfektionsmöglichkeiten, Mindestabstände, eine begrenzte Anzahl von Personen auf dem Gelände. Beim Flugleiter müssen sich zudem alle Personen anmelden, die Bedienungselemente und sonstigen Gerätschaften am und im Flugzeug desinfiziert werden, Schulungsflüge sind zudem noch ausgesetzt.
Betrieb schon morgens um acht
Der Wiedereinstieg funktioniert offenbar. Dort, wo es seit Mitte März außer einigen Erprobungsflügen und Werkstatttätigkeiten keinerlei Segelflugaktivitäten mehr gab, kehrten am Wochenende schrittweise Leben und Zuversicht zurück. Schon kurz nach acht Uhr herrschte rege Betriebsamkeit auf der Hahnweide. „Alles reibungslos verlaufen“, bilanzierte am Sonntagabend Tilo Holighaus, der nach zweimonatiger Zwangspause gleich mehrfach in die Lüfte stieg.
Prächtiges Frühlingswetter mit reichlich Sonnenschein und brauchbare Winde versüßten die Rückkehr - auch für die Mitglieder jener acht anderen Klubs, die das Fluggelände ebenso nutzen. Der Wiedereinstieg dürfte freilich deutlich schwerer fallen als in früheren Zeiten. „Eigentlich beginnt die Saison im März“, betont Lars Reinhold. Umso wichtiger sei es nun, auf Sicherheitsaspekte zu achten. Lieber zu viel als zu wenig, laute die klubinterne Devise. „Checkflüge mit einem anderen erfahrenen Piloten sind enorm wichtig, um wieder ein Gefühl für das Segelflugzeug zu bekommen“, weiß Reinnhold.
An der Sinnhaftigkeit des Lockdowns Mitte März herrscht in der Fliegergruppe übrigens wenig Zweifel. „Es wäre nicht zu vermitteln gewesen, wenn wir geflogen wären, während alle anderen Bürger und Sportler Einschränkungen hinnehmen mussten“, unterstreicht Reinhold.
Tilo Holighaus fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu. „Von meinen Flugfreunden in anderen Ländern weiß ich, dass dort der Lockdown teils deutlich härter war als in Deutschland“, so der aktuelle Weltmeister, selbst Radfahren oder Joggen sei dort in vielen Fällen für seine Kollegen nicht erlaubt gewesen. In Deutschland war dies möglich, Holighaus machte reichlich Gebrauch davon - und hatte dabei so manches Aha-Erlebnis. „Speziell beim Radfahren lernte ich Touren und Straßen kennen, von denen ich gar nicht wusste, dass es die gibt“, er habe eben für eine Weile „Naturbeobachtung vom Boden statt aus der Luft“ betrieben.