Lokalsport
Im Tiefflug über der Grasnarbe

Faustball In Bissingen und Oberlenningen wird eine der ältesten Ballsportarten der Welt noch im Ligabetrieb erfolgreich gespielt – schließlich ist Deutschland ja auch amtierender Weltmeister.  Von Tim Trento

Stell Dir vor, Deutschland wird Weltmeister – und kaum jemand nimmt davon Notiz. So geschehen Ende Juli in Mannheim. Die deutschen Männer wurden Weltmeister im Faustball, eine der ältesten Ballsportarten der Welt (siehe Info) – und das schon zum vierten Mal hintereinander. Überhaupt dominieren die sogenannten Rückschlagspieler aus Deutschland schon seit Jahren die Konkurrenz. Von 16 seit 1984 alle vier Jahre ausgespielten Welt-Titelkämpfen gewannen die deutschen Männer nicht weniger als 13 Mal. Die Frauen haben eine ähnliche Quote: Von den seit 1994 ausgetragenen neun Weltmeisterschaften gingen die Damen von Faustball Deutschland unter dem Dach des Deutschen Turnerbundes gleich sieben Mal als Siegerinnen vom Feld.

Unter den rund 8000 Augenzeugen bei den diesjährigen Männer-Titelkämpfen in der SAP-Arena waren auch zehn Aktive aus Bissingen. Der Turnverein der Seegemeinde ist eine der lokalen Faustball-Hochburgen. Bekannt sind die rund 90 Frauen und Männer um Abteilungsleiter Reiner Schaufler inzwischen eher durch die Ausrichtung des Teck-Triathlon, der am vergangenen Samstag zum dritten Mal stattfand.

Dabei hat Faustball eine lange Tradition im 125 Jahre alten TV Bissingen. 51 Jahre wird auf der Sportanlage oberhalb vom „Sai“ bereits gespielt. Der Bissinger Heinz Schröpfer, der bei RW Stuttgart spielte, brachte die Sportart damals unter die Teck. Gespielt wird der Ball, der gut 100 Gramm schwerer als ein Volleyball ist, ausschließlich mit der geschlossenen Hand und der Innenseite des Unterarms. Die Abgrenzung zum Volleyball liegt in der Art der Ballbehandlung, in den beim Faustball größeren Abmessungen des Spielfeldes, in der geringeren Anzahl Spieler (fünf statt sechs) und vor allem im Ballwechsel: Beim Faustball darf der Ball einmal im Feld aufspringen und muss spätestens vom dritten Spieler über das Mittelband befördert werden.

Gefordert ist beim Faustball nahezu der gesamte Körper. Flott auf den Beinen sollte man auf jeden Fall sein, um das im Freien 25 mal 20 Meter große Halbfeld mit fünf Spielern zu beackern. Dazu kommen eine gute Hand-Augen-Koordination, Dynamik, Ausdauer und der Wille zu regelmäßigen Flugeinlagen. „Wir haben mangels direktem Körperkontakt mit dem Gegner wenig Verletzungen. Faustball ist deshalb eine life-time-Sportart“, findet TVB-Jugendleiter Timo Schaufler (27), der auch bekräftigt, dass es bis zur Bundesliga hinauf keine Profis gebe. „Bei uns fließen keine Gelder. Faustball ist durch und durch ehrlich“, ergänzt Abteilungsleiter Reiner Schaufler nicht ganz ohne Stolz.

Aktuell spielen in der Saison zwischen April und Juli sowohl die erste Männermannschaft des TVB als auch die Senioren M45 in der Verbandsliga, der vierthöchsten deutschen Spielklasse. Die zweite, dritte und vierte Mannschaft treten wie auch die erste Frauenmannschaft in der Bezirksliga an. In der Hallensaison von November bis Februar muss der TVB mangels geeigneter Sporthalle kleinere Brötchen backen. Aus praktischen Gründen haben sich hier Trainingsgemeinschaften mit dem TSV Denkendorf und dem TV Hochdorf gebildet. 

Same, same but different: Ähnlich, aber mit umgekehrten Vorzeichen werden die Prioritäten beim TSV Oberlenningen gesetzt. Auch im Täle gibt es Faustball schon weit über 20 Jahre. Allerdings liegt der Fokus hier auf der Hallensaison, in der der TSV mit der Landesliga in der gleichen Klasse wie die Bissinger spielen. Mangels geeignetem Feld bilden die Lenninger im Sommer dafür eine Trainingsgemeinschaft mit dem TV Beuren und trainieren auch im dortigen Lettenwäldle. Abteilungsleiter Max Fenchel kümmert sich auch ums Marketing, verfasst hin und wieder Berichte fürs Mitteilungsblättle. „Meist kommen ältere Leute zum Zuschauen“, sagt der Funktionär, der selbst auf dem Platz steht und sich über ein paar Nachwuchsleute freuen würde.

VfL-Aus nach der Pandemie

Gänzlich mit leeren Händen steht mittlerweile der VfL Kirchheim da. „Schon in den 1950er Jahren fanden sich erste Skifahrer, die im Sommer auf dem ‘Äckerle’ an der Auerbauer Steige Faustball spielen wollten“, erinnert sich VfL-Urgestein und Ex-Vorstandsmitglied Hagen Zweifel. Aus diesem Grund agierten die Ballakteure auch nie in der Turnabteilung, sondern immer bei den Schirglern – und das durchaus erfolgreich und hochklassig. Das endgültige Ende des Faustballs im VfL kam erst mit der Pandemie: „Da hat sich der letzte Rest, der in der M45-Verbandsliga spielte, aus den Augen verloren“, bedauert Stefan Zweifel, der bis zum Schluss zur Mannschaft gehörte und ein bisschen wehmütig zurückblickt. Faustball macht halt einfach Spaß.
 

Fünf gegen fünf – seit fast 1800 Jahren

Faustball gilt als eine der ältesten Sportarten der Welt. Erste Erwähnungen erfuhr eine Sportart, die dem heutigen Faustball schon sehr nahe kommt, bereits 240 nach Christus durch Kaiser Gordianus. Allerdings dauerte es noch bis 1555 ehe der Italiener Antonio Scaino Regeln für ein Spiel niederschrieb, welches Gioco del Pallone, also „Ballonspiel“ genannt wurde und als italienscher Nationalsport galt. Das Gioco war vor allem bei den Adeligen als Zeitvertreib ohne Wettbewerbscharakter beliebt.
Erst im Jahr 1870 führte Georg Weber den Faustballsport in Deutschland ein – gleich im Turniermodus. 15 Jahre später wurde die neue Sportart zum ersten Mal auf dem Deutschen Turnfest in Dresden vorgestellt und Weber verfasste einige Jahre später zusammen mit Heinrich Schnell ein erstes Regelwerk. Die Zählweise unterschied sich von der heutigen enorm. Damals gewann die Mannschaft mit den meisten Leinenüberquerungen.
Es war die Zeit, in der die Sportart auch in die deutschsprachigen Nachbarländer und durch Auswanderer nach Südamerika und Südwestafrika schwappte. 1922 wurde eine Regeländerug geschaffen, nach der die Mannschaft mit den wenigsten Fehlern siegte. Die Überarbeitung veränderte vieles. Der Sport wurde athletischer und dynamischer. Davon beflügelt nahmen bereits 1927 rund 12 000 Mannschaften am aktiven Faustballsport in Deutschland teil. Heute gibt es etwa 40 000 Faustballer in Deutschland. tim