Die Sonne scheint, die Freibäder haben wieder geöffnet und auch an den Seen herrscht reger Betrieb. Für den Nachwuchs ist es das Paradies – endlich wieder im Wasser spielen und toben. Eltern und Bademeister müssen in diesem Sommer aber besonders Acht geben, denn wegen der Corona-Pandemie können sich derzeit noch weniger Kinder als sonst selbstständig über Wasser halten. „Wir werden einen ganzen Jahrgang an Nichtschwimmern haben. Das wird ein Riesenproblem“, sagt Philipp Koschei, der dem DLRG in Kirchheim seit knapp neun Jahren vorsteht. Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft ist mit ihren Ortsgruppen neben privaten Betreibern und städtischen Initiativen der Hauptanbieter von Schwimmkursen.
Dass die Plätze in so einem Kurs ein rares Gut sind, wissen Eltern schon lange. Manche Kinder stehen zwei und mehr Jahre auf einer Warteliste, bevor sie unter Anleitung schwimmen lernen. Zum einen liegt das am vorhandenen Personal, zum viel größeren Teil aber an den knappen Kapazitäten im Wasser. „So lange die Kooperation mit Dettingen läuft – bis zum Jahr 2030 – haben wir dort unter der Woche abends dienstags und freitags drei bis vier Stunden, die wir uns mit anderen Vereinen teilen“, erklärt Philipp Koschei. Unter anderem wird dort auch das begehrte Seepferdchen angeboten, das Kinder ab fünf Jahre, also die klassischen Nichtschwimmer anspricht. „Da werden wir jedes Jahr überrannt. Schon wenige Stunden nach Ausschreibung der Kurse sind schon alle Plätze weg“, schildert der Kirchheimer Vorsitzende. Zehn Kinder pro Kurs werden genommen, die dann an zehn Abenden Schwimmen lernen können. Pro Winter sind etwa drei Kurse möglich. In Summe macht das 30 Kinder, die über das DLRG im Raum Kirchheim pro Jahr einen Platz bekommen. „Auf den Wartelisten stehen immer nochmal um die 60“, sagt Koschei.
Schwimmer hart vom Lockdown getroffen
Der erste Kurs im September 2020 konnte wegen des zweiten Lockdowns nur dreimal stattfinden, ehe er abgebrochen werden musste „In der Zeit lernt keiner Schwimmen.“ Um dem drohenden Problem entgegenzusteuern, werden nun Kurse in Kooperatioon mit der Stadt angeboten. „Die Vereine können das alleine nicht stemmen, zumal Badbetreiber Geld haben möchten für die Benutzung. In Kirchheim haben wir nur das Freibad“, erklärt Philipp Koschei und fügt hinzu: „Die Bäderkapazität hier vor Ort trägt nicht positiv zur Entwicklung bei.“
Nachdem alle Formalitäten können die Schwimmkurse im Kirchheimer Freibad am heutigen Montag starten. Drei Lehrer stellt das DLRG, drei kommen vom VfL. Letzterer bietet eigentlich gar keine Schwimmkurse an, beteiligt sich nun aber gerne an der Kooperation. „Wer normalerweise zu uns kommt, kann bereits schwimmen“, erklärt Sylvia Helstab, Abteilungsleiterin beim VfL. Ihre Sportler waren besonders vom letzten Lockdown betroffen, konnten von Mitte Dezember bis Juni gar nicht trainieren. „ Deshalb sind wir auch grade erst dabei die Warteliste an Neuzugängen abzubauen. Das Ganze werden wir vor allem bei Wettkämpfen zu spüren bekommen, wo uns wahrscheinlich ein kompletter Jahrgang fehlen wird.“ Ihre Schäfchen haben über die Wintermonate das Schwimmen zwar nicht verlernt und kommen jetzt wieder mit Feuereifer ins Training, Normalbetrieb findet aber noch längst nicht statt. Statt vier dürfen nur zwei Gruppen trainieren, statt zwei- bis dreimal pro Woche nur einmal. „Dass wir in Kirchheim kein eigenes Hallenbad haben, ist ein absolut wunder Punkt. Besonders blöd war der Lockdown für die, die frisch einen Kurs gemacht hatten und anschließend zu uns kommen wollten“, weiß Sylvia Helstab, die voll hinter dem Engegement des VfL bei den neuen Kursen steht. „Uns liegt ja was daran, dass die Kinder schwimmen lernern.“
900 000 Euro für Kurse
Die baden-württembergischen Schwimmverbände schätzen laut einer Mitteilung der Sportregion Stuttgart, dass etwa 100 000 Kinder seit dem Beginn der Corona-Pandemie vor 14 Monaten im Land nicht oder nicht sicher schwimmen gelernt haben.
Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport hat daher gemeinsam mit den beiden Schwimmverbänden sowie den DLRG-Landesverbänden in Baden-Württemberg ein „Corona-bedingtes Sofortprogramm zur Verbesserung der Schwimmfähigkeit“ initiiert. Mit diesem befristeten Programm soll dem erhöhten Bedarf Rechnung getragen werden. Das Programmvolumen beträgt 900 000 Euro.
Anträge können von Schwimmvereinen, DLRG-Ortsgruppen sowie privaten Anbietern mit Sitz in Baden-Württemberg gestellt werden. Unter www.sofortprogrammschwimmenbw.deist dies bis zum 30. November möglich.
Wer trotz aller Bemühungen für seinen Nachwuchs vor Ort keinen Platz in einem Kurs bekommt, kann entweder auf einen Kurs im Urlaub spekulieren oder schon mal selbst aktiv werden. Allerdings weiß VfL-Schwimm-Abteilungsleiterin Sylvia Helstab, dass die Eltern meistens die schlechtesten Lehrer sind. „Es ist immer besser, wenn jemand anders das macht. Zum Beispiel ein Onkel oder einfach jemand bekanntes, der selbst gut schwimmen kann.“ Außerdem weist sie darauf hin, dass es „mit einem Schwimmkurs alleine auch nicht abgegolten ist“. Eltern sollten ihre Kinder nach Ringen tauchen lassen und vor allem so oft wie möglich ins Schwimmbad gehen. „Das Element Wasser sollte für die Kinder einfach nichts Neues sein.“
Den Aspekt der Sicherheit hat DLRG-Ortsgruppenchef Philipp Koschei im Blick. „Wichtig ist, dass Eltern ihre Kinder immer auf die Gefahren hinweisen. Diese werden meisten völlig unterschätzt.“ Vor allem beim Baden in Seen passiert viel. „Da kann man sich in Pflanzen verheddern, in eine Unterströmung geraten oder blöd auf einem Stein ausrutschen und sich verletzen. Dazu kommt noch das trübe Wasser, in dem man schnell die Orientierung verlieren kann“, erklärt der Experte. tb/sl