Kirchheim. Fortuna muss eine Westfälin sein. Oder eine Dame aus dem Hohenlohischen. Von der Teck scheint sie jedenfalls nicht zu stammen. Zwei Mal in ihrer 13-jährigen Bundesliga-Historie drangen die Luftpistole-Schützen des TSV Ötlingen ins Endrunden-Finale vor, zwei Mal verloren sie. Erst unterlagen sie im Jahr 2004 gegen West-Vertreter VSS Haltern in Gelsenkirchen,
dann passierte dasselbe Malheur gegen Vierfach-Meister SGi Waldenburg im Februar 2010 in Coburg. Zwei Mal hieß es 2:3 – Glück hatten nur die jeweiligen Gegner.
Wer zwei Mal hintereinander 2:3 nach Stech-Duellen verliert, der muss hadern mit sich und der Welt. Die Ötlinger taten‘s, und Mauro Badaracchi ganz besonders. Der 26-jährige Team-Superstar, amtierender Luftpistole-Europameister und Olympia-Starter 2008, hatte gegen Waldenburg vor den Augen von DSB-Präsident Josef Ambacher seinerzeit alles in seiner Hand: Ein Ring fehlte ihm zur Verlängerung, zwei Ringe fehlten ihm, um kollektiven Ötlinger Siegerjubel zu entfachen. Anstatt einer Neun oder einer Zehn erzielte der Italiener mit dem letzten Schuss aber eine Acht – binnen des Bruchteils einer Sekunde hatte sich der Traum der Rübholz-Pistoleros vom ersten Titelgewinn der Vereinsgeschichte in Rauch aufgelöst.
Inzwischen ist das Schützen-Drama vom 7. Februar 2010 längst verarbeitet, und keine Narbe bleibt. Mit neuer Zuversicht blicken die als Südbundesliga-Zweiten qualifizierten Ötlinger nun der Endrunden-Neuauflage am 5./6. Februar in Paderborn entgegen. Dort, wo sich laut dem einheimischen Comedian Rüdiger Hoffmann Fuchs und Hase gute Nacht sagen, soll am Veranstaltungswochenende der Bär steppen. Das glaubt zumindest Patrik Lengerer (28). Ötlingens Nummer zwei, in früheren Jahren dreimaliger Finalgewinner mit der SGi Waldenbuch, erwartet in der 1 000 Menschen fassenden Paderborner Sporthalle am Maspernplatz einen Anschlag auf die Ohren: „Die Schlachtenbummler werden wieder mit Pauken und Trompeten kommen und reichlich Krach machen. So ist es bei Bundesliga-Endrunden üblich“, sagt er. Eigentlich sind hohe Phonzahlen Gift für jeden Sportschützen – wie sollen die über die Strecke von 40 Schuss volle Konzentration bewahren? „Man darf den Lärm nicht in sich eindringen lassen“, antwortet Lengerer, der beruflich Konstrukteur bei der Firma Robert Bosch ist. Die Chance, bei der achten Endrunden-Teilnahme die Ohren auf permanenten Durchzug stellen und endlich mal einen Finalsieg feiern zu können, sehen sie in Ötlingen „50 zu 50. Prognosen auf die Endrunde sind schwer zu stellen. Es wird auf die Tagesform ankommen“, wie TSVÖ-Abteilungsleiter Joachim Poppek weiß. Gemessen an nackten Zahlen wird die SGi Waldenburg zwar als Topfavorit an den Start gehen. Durchschnittlich 1898 Ringe erzielte der Titelverteidiger in jeder der sieben Vorrunden-Begegnungen 2010/11, deutlich mehr als Nord-Sieger PSV Olympia Berlin (1883) und der Süd-Zweite TSV Ötlingen (1878). Doch Poppek, 64, Rentner und Schießsport-Insider wie kein Zweiter in der Region, hält Statistik für Schall und Rauch. „Entscheidend für den Ausgang eines Duells ist immer, wie die Nummern drei, vier und fünf einer Mannschaft abschneiden“, sagt er.
Hinter Badaracchi (1), Lengerer (2) und Leo Braun (3) als Gesetzte, hat im TSV-Kader allerdings keiner einen Stammplatz im Endrunden-Poker sicher. Das Schützen-Quartett mit Achim Rieger, Jörg Kobarg, Markus Geipel und dem neuerdings etwas außer Form geratenen Alt-Meister Stefan Scharpf (33) muss in den nächsten Wochen um die letzten zwei freien Plätze kämpfen. Wie es geht, mit Mentalkraft einen vermeintlichen Favoriten und die Statistik zu schlagen, zeigten die TSVÖ-Schützen beim Vorrunden-Durchgang in Weil am Rhein: Da schlugen sie Waldenburg nach Einzelduellsiegen von Badaracchi, Braun und Rieger sowie Niederlagen von Lengerer und Kobarg mit 3:2, wobei Waldenburgs Andreas Heise allerdings zum Pechvogel geriet: Bei seiner hauchdünnen 366:367-Niederlage gegen Achim Rieger kam er wegen eines technischen Defekts über einen Nuller im 40. Schuss nicht hinaus. So konnten die Ötlinger zum Vorrundenabschluss nochmals ein Ausrufezeichen setzen, und das Glück kehrte über Nacht auch zurück.
Neues Glück erhoffen sie sich in Paderborn, wohin sie zur Unterstützung fast 50 Fans mitnehmen werden. Wegen der hohen Nachfrage aus TSVÖ-Reihen sind etwa 35 Hotelzimmer zu reservieren. „Unabhängig vom Ausgang unseres Viertelfinalduells gegen den Nord-Dritten SV Kriftel am Samstag bleiben alle Mitfahrer über Nacht, um das kleine und große Finale am Sonntag anschauen zu können“, sagt Poppek.
Am liebsten soll‘s ein Finale mit Ötlinger Beteiligung sein. Darauf hoffen sie alle. Schließlich geht es in Paderborn nicht nur darum, eines der besten Ötlinger Bundesliga-Jahre mit dem Halbfinaleinzug zu krönen, sondern auch darum, womöglich das zu schaffen, was bisher noch keine TSVÖ-Bundesligamannschaft schaffte: endlich den Titel unter die Teck zu holen. Dann wäre auch Fortuna endgültig rehabilitiert . . .