Spätes Glück auf der Straße: Der Kirchheimer Kai Kautz gibt mit 26 Jahren sein Debüt als Radprofi im Team Stuttgart
Jahrelang aufs falsche Pferd gesetzt

Manche brauchen etwas länger, ihr wahres Talent zu entdecken. Besser spät als nie, mag sich Kai Kautz gedacht haben, als er im Oktober mit 26 Jahren beim Team Stuttgart seinen ersten Profivertrag unterschrieb. Zuvor saß der Kirchheimer acht Jahre lang als Mountainbiker im Sattel. Mit nur mäßigem Erfolg. Heute weiß er: Er hätte den Schritt auf die Straße viel früher wagen sollen.

Kirchheim. Es sind die Tage, die einem Radrennfahrer das Leben zur Hölle machen. Draußen regnet es in Strömen, der Hals ist entzündet, das Knie schmerzt. Im Fernsehen läuft die Tour. Immerhin. Trainingspausen sind gut, solange sie planmäßig sind. Im Moment passt es gar nicht. In zwei Wochen beginnt die Portugal-Rundfahrt. Die bisher größte Herausforderung im Leben des Radsportlers Kai Kautz.

Die Bayern-Rundfahrt vor sechs Wochen hat er durchgestanden. Seite an Seite mit Profis wie Fabian Cancellara, Jens Voigt oder Gerald Ciolek. Fünf Grad Celsius bei der Bergankunft auf der Winklmoos-Alm, Dauerregen, Hungerast. Als 109. im Gesamtklassement war er am Ende viertbester Fahrer seines Teams. Die Volta in Portugal wird härter. Länger, bergiger, heißer. „Ich weiß noch nicht so recht, was da auf mich zukommt“, gesteht er. Angst? Nein. Respekt? Auf jeden Fall. Egal: „Es macht Riesenspaß“, meint Kautz. „Auch weil dir eine längere Rundfahrt einen richtigen Leistungsschub verpasst.“

Freude an der eigenen Leistungsentwicklung, das war nicht immer so im Sportlerleben des 68-Kilo-Mannes mit dem blonden Bürstenhaar. Vor drei Jahren wollte er hinschmeißen. „Ich fahre Mountainbike-Rennen seit meinem 15. Lebensjahr“, sagt er. „Wenn der Erfolg nicht kommen will, dann hast du irgendwann die Schnauze voll.“ Sein großes Vorbild Lado Fumic, mit dem er häufig trainierte, nannte ihn einmal einen Trainingsweltmeister. „Bei gemeinsamen Ausfahrten bin ich allen um die Ohren gefahren, und im Rennen hab ich es nicht auf die Reihe gekriegt“, meint er rückblickend.

Mehr als ein Jahr lang war er völlig raus, hatte mit dem Radsport eigentlich abgeschlossen, wie er sagt. Bis ihn 2012 Julian Rammler anrief und fragte, ob er nicht Lust hätte, auf die Straße zu wechseln. Der heutige Manager des Team Stuttgart war damals als Fahrer noch selbst Teil der Mannschaft. Nach einem Brückenjahr mit vereinzelten Amateurrennen in der näheren Umgebung unterschrieb Kautz 2013 seinen ersten Profivertrag. Aus dem Team Stuttgart war inzwischen ein drittklassiges Continental-Team geworden, mit Bahn-Weltmeister Olaf Pollack als Sportlichem Leiter. Seitdem geht beim Kirchheimer, der sich mit seinem australischen Teamkollegen Jack Cummings in Lindorf eine Wohnung teilt, die Leistungskurve steil nach oben. Eine Entwicklung, die ihn selbst überrascht. Auf dem Mountainbike hat er selten länger als drei Stunden trainiert. Auf der Straße ist das anders. Lange Einheiten, große Blöcke, er merkt, dass er auch nach 180 Kilometern im Rennen noch reagieren kann, dass es bei Rundfahrten erst am dritten oder vierten Tag beginnt, rund zu laufen. „Die Ausdauerbelastung liegt mir“, sagt Kai Kautz. „Ich hätte schon viel früher auf die Straße wechseln sollen.“

Was soll‘s. Mit seinen 26 Jahren ist er inzwischen zwar der Älteste im Team, doch kaum einer hat mehr Bock auf Radfahren als er. Die Helferrolle stört ihn dabei nicht. „Letzter Mann für Krieger“, so lautet im Radsport-Jargon die Arbeitsplatzbeschreibung von Kai Kautz. Gemeint ist Alexander Krieger, der Kopf der Mannschaft. Ein Allrounder mit Sprintqualitäten, der als Sensations-Vierter bei den deutschen Meisterschaften vor zwei Wochen hinter Titelträger André Greipel und John Degenkolb nur hauchdünn eine Medaille verpasste. Auch mithilfe von Kai Kautz, dessen Aufgabe es ist, den schnellen Mann in Position zu bringen. Dass er den Job bei der DM mit einem Sturz bezahlte, ist der Grund für seine Nervosität in diesen Tagen. Erst ein Bluterguss im Knie, dann die Erkältung. Eine Woche Trainingspause. Am kommenden Sonntag will er wieder das Mountainbike aus dem Keller holen, bei den deutschen Meisterschaften in Bad Säckingen eine letzte Spitze setzen, bevor es eine Woche später nach Portugal geht. Bei der zwölftägigen Rundfahrt wird sich zeigen, wie es um die Form steht. Sein Ziel? Nicht einzubrechen und auf die Gunst der Stunde zu lauern. Manchmal gehört Glück dazu, eine schnellere Gruppe zu erwischen und mit ihr ins Ziel zu kommen. Egal wie es läuft: „Ein schweres Rennen“, meint Kai Kautz, „bringt dich immer einen Schritt weiter.“