Seine Stimme klingt noch immer gedämpft, doch der Optimismus kehrt langsam zurück. Die zahlreichen Verletzungen, die Jannik Steimle bei seinem schweren Sturz beim belgischen Radklassiker Nokere Koerse am Mittwoch erlitten hat, sind in erster Linie eines: extrem schmerzhaft. Drei gebrochene Rippen, von der eine die Lunge verletzt hat, das Schultereckgelenk gesprengt und eine schwere Gehirnerschütterung ist die Bilanz des Unfalls. Eine Szene, von der es kaum Bilder gibt und an die auch Steimle keinerlei Erinnerung hat. Weder an den Rennverlauf zuvor, noch an den Sturz selbst, der sich in einer Rechtskurve auf einer Kopfsteinpflaster-Passage ereignete. Der Weilheimer wollte vermutlich links außen überholen, rutschte dabei weg und prallte mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Holzzaun am Streckenrand.
Gestern wurde er in die Sportklinik im flandrischen Herentals verlegt, wo er am Wochenende voraussichtlich bereits wieder entlassen werden soll. Die Ärzte dort haben entschieden, auf eine Operation der Schulter zu verzichten, da das Risiko von Nervenschädigungen zu groß sei. Die erste vorsichtige Prognose lautet: drei Wochen Trainingspause. Damit hat Steimle Glück im Unglück. Bei den Frühjahrsklassikern wird der Weilheimer damit zwar keine Rolle mehr spielen, die Hoffnung auf einen Start bei den Deutschen Straßenmeisterschaften im Juni in Stuttgart lebt aber weiter. Die Heim-DM ist für ihn nach eigenen Worten einer der Höhepunkte der diesjährigen Rennsaison.
Für Deceuninck Quick Step ist der Sturz des Jungprofis der vorerst letzte einer ganzen Reihe schwerer Unfälle seit vergangenem Sommer (siehe Info). Für viele Rad-Experten ein Alarmsignal, dass in der Branche etwas schiefläuft. Ralf Kleih war der Heimtrainer von Jannik Steimle bis zu dessen Wechsel zu Quick Step und hält heute als Ratgeber noch immer Kontakt. Für ihn ist klar: Es muss sich etwas ändern.
Immer anspruchsvoller, immer steiler, immer mehr Schotter und Kopfsteinpflaster – um den Zuschauern das große Spektakel zu bieten, gehen Streckenplaner und Veranstalter an Grenzen. „Wenn es trocken ist, ist vieles kein Problem,“ sagt Kleih. „Wenn es regnet, wie am Mittwoch, sieht die Sache anders aus.“ Kleih weiß: Es gibt immer mehr junge Fahrer, die um lukrative Verträge kämpfen. Es geht um viel Geld. Gleichzeitig hat Corona dafür gesorgt, dass Gelegenheiten, sich zu zeigen, weniger werden. „Da haben viele im Rennen das Messer zwischen den Zähnen,“ sagt der Mann vom TSV Dettingen/Erms.
Kleih ist gleichzeitig Stützpunkttrainer der Mountainbiker in der Region. Dort nahm die Entwicklung einen ähnlichen Verlauf, und dort hat man inzwischen reagiert. Strecken verändert, technische Passagen entschärft. Auf steilen Steinfeldern sein Leben riskieren muss selbst im Weltcup heute kaum mehr jemand. „Es braucht auch auf der Straße einen Plan B,“ sagt Ralf Kleih. Und mehr Teams, die jungen Fahrern die nötige Zeit zum Reifen geben. „Quick Step macht das, als eines der wenigen,“ sagt Kleih. „Die Mehrheit will fertige Profis.“
Sturzserie bei Quick Step reißt nicht ab
Die Serie von schweren Stürzen beim belgischen Radrennstall Deceuninck Quick Step reißt nicht ab. Anfang August 2020 wurde Fabio Jacobsen im Zielsprint bei der Polen-Rundfahrt in ein Absperrgitter gedrängt, um kam nur knapp mit dem Leben davon. Der Niederländer sprach danach von Todesängsten. Nach der letzten einer Reihe von Operationen steht er inzwischen kurz vor seinem Comeback. Kurz darauf stürzte Jungstar Remco Evenepoel bei der Lombardei-Rundfahrt von einer Brücke und kam wie durch ein Wunder mit einem Beckenbruch davon. Der 21-Jährige kämpft im Moment noch immer mit den Folgen.
Quick-Step-Teamkapitän Julian Alaphilippe kam im Oktober bei der Flandern-Rundfahrt vergleichsweise glimpflich davon. Beim Zusammenstoß mit einem Begleit-Motorrad erlitt der aktuelle Weltmeister mehrere Knochenbrüche an der Hand. Nach einer ganzen Reihe schwerer Stürze im Sommer, bei der auch andere Teams betroffen waren, gab es erstmals Kritik von Fahrern an Rennveranstaltern, Streckenführungen und am Weltverband UCI. bk