Lokalsport
Jannik Steimle: In zwei Wochen zum „Monuments Man“

Radsport Er hat geschafft, was nur den Besten in diesem Sport gelingt: Nach seiner Premiere bei der Flandern-Rundfahrt steht Jannik Steimle auch bei Paris–Roubaix im Aufgebot von Quick-Step. Von Bernd Köble

Jeder Meter, jeder Stein atmet hier Geschichte. Vom gefürchteten Kopfsteinpflaster im Wald von Arenberg oder dem Carrefour de l’Arbre über die Schlussrunde auf der Bahn im Vélodrom bis zu den Duschen im legendären Radstadion von Roubaix, wo sich in den rohen Betonkammern schon Sieger wie Eddy Merckx oder Tom Boonen vom Staub oder Schlamm befreit haben. Jannik Steimle kannte das alles bisher nur aus Büchern und Magazinen, die er als junger Rennfahrer verschlungen hat. Am Ostersonntag steht der 26-Jährige aus Weilheim selbst am Start des vielleicht berühmtesten Radrennens der Welt. Nach seinem Debüt bei der Flandern-Rundfahrt vor einer Woche ist es seine zweite Premiere bei einem der insgesamt fünf Monumente im Radsport.
 

Auf dieses Rennen kann man sich nicht vorbereiten.
Jannik Steimle
 

Um das alles zu begreifen, muss man ankommen. Am besten daheim, so wie an diesem Montag. Nach Wochen in Hotelzimmern bleibt Zeit für einen kurzen Zwischenstopp in Schwäbisch Gmünd, wo Steimle mit Freundin Lara sein Basislager hat. Schon am Mittwoch geht es zurück. Erst ins Teamquartier nach Belgien, am Donnerstag dann weiter nach Frankreich. Dort wird er zum ersten Mal in Augenschein nehmen, was ihn am Sonntag auf den 257,5 Kilometern vom Start in Compiègne bis nach Roubaix erwartet. Sollten die Wetterprognosen stimmen, zeigt sich die „Hölle des Nordens“ von ihrer angenehmeren Seite: mit Trockenheit und milden Temperaturen. Anders als im Vorjahr, als beim Sieg des Italieners Sonny Colbrelli das Peloton einer Terrakotta-Armee glich.

Steimle, der sich bei Regen und Kälte meist von seiner stärksten Seite zeigt, ist diesmal ausnahmsweise froh darüber. Sich mit den Tücken der Pavés anzufreunden, ist das eine, nasses Kopfsteinpflas­ter eine ganz andere Nummer. So wie das ganze Rennen, das seine eigenen Gesetze hat, auch was das Material betrifft. Breitere Pneus, geringer Reifendruck, Gabeln mit minimaler Federung und doppellagiges Lenkerband, um die Hände zumindest ein wenig zu schützen. Wer mit all dem klarkommt, braucht immer noch das Auge für die Ideallinie. Stürze und Defekte sind hier die Regel. „Auf dieses Rennen kann man sich nicht vorbereiten“, meint Jannik Steimle. „Hier musst du drei-, viermal gefahren sein, um zu wissen, wie es läuft.“

Aus Sicht von Quick-Step dürfte das heißen: hoffentlich besser als zuletzt. Kasper Asgreen, seit seinem Sieg bei der Flandern-Rundfahrt im vergangenen Jahr der Top-Mann für die Klassiker, kam beim Amstel Gold Race am Sonntag als Sechster ins Ziel. Ebenso geschlagen wie Topfavorit Matthieu van der Poel. Steimle landete beim Sieg des Polen Michal Kwiatkowski im langgezogenen Hauptfeld immerhin noch auf Platz 43 unter 117 Fahrern, die ins Ziel kamen. Auch wenn die Platzierung auf den letzten 30 Kilometern kaum mehr eine Rolle spielte.

Es waren harte Wochen. Das volle Klassiker-Programm, aus dem Training heraus abgespult. Die nächsten Tage heißt es rausnehmen, Kraft tanken, um am Sonntag halbwegs ausgeruht am Start zu stehen. Die Vorfreude, meint Jannik Steimle, ist größer als vor der Flandern-Rundfahrt. „Weil ich glaube, dass mir dieses Rennen mehr liegt.“ Mit seinen 73 Kilo zählt er zwar nicht zu den Schwergewichten, die auf den Pavés in Frankreichs Norden alles wegbügeln. Er ist aber auch kein Leichtgewicht und verfügt als Zeitfahrer mit Bahn-Vergangenheit über das nötige Stehvermögen, um im Flachen hohe Wattzahlen über längere Zeiträume zu treten. Er werde den Sonntag genießen, sagt er, was angesichts der Härte dieses Rennens wie ein Scherz klingt.

Danach werden die Karten ganz neu gemischt. Am 20. April gibt Quick-Step sein Aufgebot für den Giro bekannt. Ob Steimles Name auf der Liste stehen wird, hängt davon ab, wie seine Formkurve bis dahin verläuft, wie der Körper auf das harte Frühjahrsprogramm reagiert. Womöglich kommt die erste große Rundfahrt des Jahres zu früh für ihn. Was auf Roubaix folgt, beschreibt er in eigenen Worten: „Luft dran lassen und schauen, was passiert.“

Der erste Sieger war ein Deutscher

Paris–Roubaix wurde 1896 zum ersten Mal ausgetragen – nur Lüttich–Bastogne–­Lüttich ist älter. Beide Eintages­rennen gehören gemeinsam mit der Flandern-Rundfahrt, Mailand–Sanremo und der Lombardei-Rundfahrt zu den fünf Monumenten im Radsport. Gleich im ersten Jahr der langen Roubaix-Geschichte gewann mit Josef Fischer ein Deutscher das Rennen. Bis zum nächsten und bis heute letzten deutschen Triumph dauerte es allerdings 116 Jahre. 2015 dominierte John Degenkolb den Klassiker.

Rekordsieger sind zwei Belgier: Roger De Vlaeminck in den 70ern und Tom Boonen zu Beginn dieses Jahrtausends standen beide viermal ganz oben auf dem Treppchen. bk