Der Fahrtwind pfeift und knackt, die Stimme ist kaum zu verstehen – mit Handy und Headset auf dem Rad irgendwo im Schurwald unterwegs, spricht Jannik Steimle über das letzte Kapitel seiner Geschichte beim jahrelang erfolgreichsten Radsportteam der Welt. Nach vier Jahren bei Quick Step, wo der Weilheimer den Aufstieg in die Champions League der Pedaleure schaffte, steht er am Dienstag das letzte Mal für die Belgier am Start. „Ich will mich anständig verabschieden und vor allem meine Teamkollegen nochmal sehen“, sagt Steimle, der inzwischen rechts rangefahren ist, damit er am Telefon besser zu verstehen ist.
Der Münsterland-Giro rund um die Stadt des Westfälischen Friedens wird für Jannik Steimle am Tag der Deutschen Einheit zur Bühne für den Schlussakt einer Beziehung, in der zuletzt das Feuer gefehlt hat. Seit Wochen plagt sich der Weilheimer mit den Folgen einer Coronainfektion herum, die ihn bei der WM und EM nicht mit voller Schlagkraft antreten ließen – dass er bei beiden Titelkämpfen mit zwei Bronzemedaillen im Team-Mixed-Zeitfahren trotzdem erfolgreich war, spricht für ihn, seinen Willen und sein Potenzial. Dies nun bald nicht mehr im blauen Jersey des „Wolfpack“ auf die Straße zu bringen, sorgt für gemischte Gefühle. „Nachdem das Team komplett umgebaut wird und viele meiner befreundeten Kollegen auch nicht mehr da sind, fällt der Abschied nicht sonderlich schwer“, sagt Steimle, „aber das Betreuerteam und alle Menschen Drumherum werden mir schon fehlen. Das war wie Familie.“
Nach vier Jahren an der Seite von Topstars wie Alaphilippe, Evenepoel oder Cavendish will Steimle bei seinem neuen Team Q36.5., bei dem er für zwei Jahre unterschrieben hat, am sprichwörtlich großen Rad drehen. Das Schweizer Pro-Team will mit Steimle als Leader im Konzert der Großen mitmischen, Starts bei Giro, Tour oder Vuelta sind angepeilt. „Zum ersten Mal wird der Rennplan auf mich abgestimmt“, freut er sich, „dort kann ich alles umsetzen, was ich bei Quick Step gelernt habe und auf Ergebnis fahren.“
Bevor es soweit ist, will Steimle seinem aktuellen Arbeitgeber an seinem letzten Arbeitstag möglichst einen Erfolg bescheren. Als einer von mehreren Helfern soll der Weilheimer beim Münsterland-Giro Quick-Step-Sprinter Tim Merlier mit in Position fürs Finish fahren, in dem Steimle selbst nach eigener Einschätzung keine Rolle spielen wird. „Ich reise unfit an, das weiß das Team auch“, sagt er, „aber ich werde mein Bestes geben.“
Und danach? Rad in die Ecke stellen und an anderer Stelle vollen Einsatz bringen: Steimles Verlobte Lara Lochmann steckt mitten in den Vorbereitungen für die Eröffnung eines Bowling Centers im Esslinger Dick Areal, dass die 24-Jährige managt. Darüber hinaus ist im Herbst eine Neuauflage der Radausfahrt rund um Weilheim geplant, wo er vergangenes Jahr unter dem Motto „Steimle and Friends“ dutzende Hobby-Pedaleure angelockt hat. „Sobald der Termin feststeht“, verspricht er, „melde ich mich wieder.“