Lokalsport
Jannik Steimle vor Rad-DM: Vom Patienten zum Geheimtipp

Radsport Der 25-jährige Weilheimer geht bei den deutschen Straßenmeisterschaften am Sonntag in Stuttgart trotz langer Verletzungspause als Mitfavorit an den Start. Von Bernd Köble

Dass er besonders eitel und selbstverliebt wäre, kann ihm keiner nachsagen. Doch gibt es Momente, da muss das Äußere bei Jannik Steimle stimmen. Ein Grund, weshalb er an diesem Vormittag leicht gehetzt wirkt. Zwischen Training und Team-Meeting hat er noch schnell einen Friseurtermin ergattert. Tags darauf hat sich ein Fernsehteam des SWR angekündigt, um den regionalen Botschafter des größten Radevents im Südwes- ten auf einer Trainingsrunde zu begleiten. Auch am Sonntag, wenn es ernst wird, soll die Frisur sitzen. Man weiß ja nie.

Wenige Tage vor dem Start zu den deutschen Straßenmeisterschaften am Sonntag in Stuttgart ist Steimle ein gefragter Mann. Nicht, dass es keine anderen gäbe, die in der Favoritenrolle womöglich noch heißer gehandelt würden, doch keiner fiebert wohl mehr auf diesen Tag hin, keiner ist enger mit diesem Rennen und diesem Landstrich verbunden als er. Dabei grenzt es an ein Wunder, dass der 25-Jährige aus Weilheim in Stuttgart überhaupt am Start steht. Ein Satz, der nicht von ihm stammt, sondern von behandelnden Ärzten. Nach seinem Horror-Sturz mit mehreren Knochenbrüchen Mitte März in Belgien kam er schneller zurück, als alle erwartet hatten. Comeback bei der Andalusien-Rundfahrt vor Pfingsten, vergangene Woche beendete er die Tour de Suisse mit einem siebten Platz im Einzelzeitfahren und starken Auftritten auf den schweren Alpen-Etappen.

Jannik Steimle ist zurück, keine Frage. Unterschätzen wird den Rückkehrer im königsblauen Dress von Deceuninck Quick Step auch am Sonntag keiner. „Bora“ gegen den Rest - so lautet in Fachkreisen die inoffizielle Headline über dem Rennen. Bora hansgrohe, der größte deutsche Rennstall mit Namen wie Maximilian Schachmann, dem Gesamtvierten der Tour de Suisse, Nils Politt, dem Zweiten bei Paris-Roubaix vor zwei Jahren, oder Sprintstar Pascal Ackermann. Das sind Namen, die jeder kennt, aber keine, vor denen Steimle sich fürchtet. Er weiß, er ist noch nicht bei hundert Prozent, aber die vergangene Woche in der Schweiz hat Mut gemacht. „Ich nehme aus der Schweiz viel Hoffnung und Kraft mit“, sagt er. „Das hohe Grundtempo in dieser Woche hat mir enorm geholfen.“

Der Kurs unterhalb des Fernsehturms in Degerloch dürfte am Sonntag allerdings seine eigenen Gesetze haben. Technisch wenig anspruchsvoll, mit langen Geraden und einem Anstieg, der zumindest in der ersten Rennhälfte kaum lang genug sein dürfte, um das Feld zu sprengen. 25 Runden sind auf der nur 7,1 Kilometer langen Schleife nach dem neutralisierten Start in Filderstadt zu absolvieren. Mehr als 3000 Höhenmeter kommen auf den 185 Rennkilometern dennoch zusammen.

Ein Kurs nicht ganz nach dem Geschmack des Weilheimers, der es mag, wenn‘s richtig weh tut. Als Spezialist für die Frühjahrsklassiker liegen ihm zudem Regen und Kälte eher als sommerliche Hitze, wie sie am Sonntag auf den Fildern zu erwarten ist. Die letzten Titelkämpfe vor Beginn der Pandemie vor zwei Jahren sollten Warnung sein: Bei über 40 Grad auf dem glühenden Asphalt des Sachsenrings waren im Juni 2019 zwei Runden vor Schluss die Speicher leer und Steimle stieg wie viele andere aus dem Rennen.

Verzicht aufs Einzelzeitfahren

Jetzt setzt er alles auf diesen einen Tag, auf den er hinfiebert seit feststeht, dass Stuttgart Austragungsort wird und die DM damit zum Heimrennen. „Fünf Prozent Leistung bekommst du dadurch schon mal geschenkt“, meint Steimle zum Motivations-Bonus. Aufs Einzelzeitfahren am Samstag hat er schweren Herzens verzichtet, obwohl er in dieser Disziplin zu den Bes- ten gehört. Der Zeitfahr-Kurs in Öschelbronn ist anspruchsvoll und mit 30 Kilometern dreimal so lang als zuletzt in der Schweiz. Die statische Haltung auf der Zeitfahr-Maschine wollte er seinem Körper auf dieser Distanz nicht zumuten. „Meine Schulter ist noch immer etwas eingeschränkt in der Bewegung“, nennt Steimle den Grund für die Absage. „Das Risiko, am Tag darauf mit Schmerzern am Start zu stehen, war mir zu groß.“

Er will den Sonntag genießen, egal, wie es läuft. Obwohl Zuschauer wegen Corona ausgeschlossen sind, dürften es sich manche Fans nicht nehmen lassen, an geeigneten Punkten der Strecke einen Blick aufs Fahrerfeld zu erhaschen und ihre Favoriten anzufeuern. Der Veranstalter appelliert an die Vernunft des Radsport-Publikums. Wer daheim bleibt, guckt möglicherweise in die Röhre und ist gerade deshalb trotzdem dabei: Das SWR-Fernsehen überträgt per Livestream ab 14.30 Uhr die entscheidende Phase des Rennens. Vielleicht mit einem Sieger, der nur 30 Kilometer Luftlinie entfernt unter der Limburg seine größte Fangemeinde hat.

Weitere Infos zum Rennen unter www.brezelrace.de