Lokalsport
Jannik Steimle vor Teamwechsel: Vom Pacemaker zur Führungskraft

Radsport Der Weilheimer heuert beim neu gegründeten Schweizer Pro-Tour-Rennstall Q 36.5 an. Hinter dem Abschied von Soudal-Quick-Step steckt die Hoffnung auf mehr Freiheiten. Von Bernd Köble

Offiziell verlautbart ist noch nichts, doch die Gerüchte verdichten sich schon lange: Jannik Steimles viertes Jahr bei Quick-Step wird das letzte sein. Der belgische Rennstall von Patrick Lefevere und sein einziger deutscher Fahrer gehen künftig getrennte Wege. Wohin die Reise für den 27-jährigen Weilheimer geht, steht ebenfalls schon fest: Das im vergangenen Jahr neu gegründete Team Q 36.5 unter Führung des ehemaligen Qhubeka-Chefs Douglas Ryder, das in dieser Saison erstmals mit einer zweitklassigen Pro-Tour-Lizenz an den Start gegangen ist, hat dem deutschen Vizemeister im Zeitfahren von 2022 in den beiden kommenden Jahren offenbar eine Leader-Rolle zugedacht.

Vom langjährigen Weltmarktführer ins Pilotprojekt der zweiten Liga: Was auf den ersten Blick nach Abstieg aussieht, könnte in Wahrheit eine große Chance sein. Weiterhin in der Komfortzone Helferdienste leisten oder im besten Radsportalter nochmal angreifen – das ist die zentrale Frage, die sich Steimle schon im Winter stellte, als es mit Quick-Step ins Vertragsjahr ging. „Ich bin jetzt 27, die nächsten beiden Jahre sind Prime-Time bei mir“, hatte Steimle schon im Frühjahr betont.

Fakt ist: Der erhoffte Durchbruch ist dem Weilheimer beim einst dominierenden Klassiker-Team nie gelungen. Das hatte viel mit Pech und ernsten Verletzungen nach üblen Stürzen zu tun, das lag auch an seiner Rolle als loyaler Arbeiter, die er lange akzeptiert hat. Zuletzt wurden aber auch grundlegende handwerkliche Fehler gemacht. Trainingslager, die nicht zündeten, ein Rennprogramm, das nicht zur Formkurve passte. Über all dem stand ein klar erkennbarer Kurswechsel bei Quick-Step, wo plötzlich ein Mann im Fokus stand: Der erst 23-jährige Weltmeister und Vuelta-Sieger
 

Ich will endlich auf eigene Rechnung fahren.
Jannik Steimle
 

Remco ­Evenepoel ist nicht nur das zurzeit größte Talent im Weltradsport, sondern auch die Karte, auf die Quick-Step alles setzt – mit geringeren finanziellen Mitteln. Evenepoel soll die Belgier irgendwann zum Toursieg führen. Das bedeutet auch, mit langen Traditionen zu brechen und den Blick verstärkt auf die großen Rundfahrten zu richten. Entsprechend wird sich das Gesicht verändern. Bei bis zu zehn Fahrern stehen die Zeichen auf Abschied, darunter Spitzenpersonal wie Senechal, Cavagna, Bagioli, Ballerini oder der Schweizer Mauro Schmid, der Steimle im Juli zum Rennen nach Kirchheim begleitete.

Auf der anderen Seite stellt das Schweizer Team Q 36.5, hinter dem potente Geldgeber aus der Schweiz und Südafrika stehen, für viele Experten eines der zurzeit spannendsten Projekte im Radsport dar. Eine Mannschaft ohne Superstars, aber mit interessanten Namen, die den Aufstieg in die Worldtour plant. Bisheriger Frontmann ist der Italiener Matteo Moschetti, der im Februar das Eintagesrennen Clásica de Almería gewann. Prominentester Neuzugang ist Giacomo Nizzolo, Straßen-Europameister von 2020. Das bekannteste Gesicht waltet im Hintergrund: Der ehemalige Toursieger Vincenzo Nibali fungiert als sportlicher Berater.

Und Jannik Steimle? Der setzt bei seinem neuen Arbeitgeber vor allem auf eines: mehr Freiheiten. Der erhoffte Wandel vom Pacemaker zur Führungskraft soll die zweijährige Durststrecke ohne Sieg endlich beenden. „Ich will auf eigene Rechnung fahren“, hatte Steimle zuletzt immer wieder betont. Von den zahlreichen Angeboten, die auf dem Tisch lagen, offerierten die Schweizer offenbar das beste Gesamtpaket. Gegen Ende einer Saison, die für Steimle geprägt war von einem häufig wechselnden Rennkalender und vielen Spontaneinsätzen. „Dadurch war es nie möglich, mich richtig aufs Rennen zu fokussieren“, sagt er. Jetzt also die Hoffnung auf mehr Struktur und vor allem darauf, die fraglos vorhandenen Klassiker- und Zeitfahr-Qualitäten offener ausspielen zu können. Ein Teil der Hoffnungen auf einen erfolgreichen Neustart dürften auch auf einem Mann ruhen, der Steimle bestens kennt und bis Ende 2022 vier Jahre lang Bundestrainer war: Jens Zemke, zurzeit noch Sportchef bei Bora-hansgrohe, ist von den Qualitäten des 27-Jährigen überzeugt, wie er betont. Im kommenden Jahr wird er sein sportlicher Leiter.

Seit Wochenbeginn ist Steimle zurück aus Kanada. Ab Freitag stehen drei Eintagesrennen in Belgien im Kalender, darunter das Kampioenschap van Vlaanderen, das er 2019 schon einmal gewonnen hat. Danach geht es weiter zur EM in den Niederlanden, wo er am 21. und 24. September in der Mixed-Staffel und im Straßenrennen starten wird. Seine Abschiedsvorstellung im Trikot von Quick-Step findet dann auf deutschem Boden statt: beim Münsterland-Giro am 3. Oktober.