Es gibt Phasen im Leben einer jungen Sportlerin, da bleibt kein Stein auf dem anderen. Studium statt Unterricht, ein neuer Wohnort, ein neuer Trainer, ein neues Team. „Nur mein Freund ist immer noch der alte“, meint die junge Frau mit dem Zopf und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Mit dem deutschen U 23-Vizemeister Leon Kaiser bildet Kira Böhm seit Jahren ein Gespann – auf und abseits der Rennstrecke. Seit vergangenem Oktober sind sie Teil einer Vierer-WG am Olympiastützpunkt in Freiburg. Zwei aufstrebende Nachwuchsbiker, ein Leichtathlet, ein Ringer. Im Breisgau wird sportliche Vielfalt gelebt. Sämtliche Betreuungsangebote für junge Athleten liegen hier direkt vor der Haustür. Für Mountainbiker wichtig: auch der nächste steile Berg. Zum ersten Mal auf eigenen Beinen stehen, fern vom Elternhaus – ein neues Leben. „Ich fühle mich unglaublich wohl hier“, schwärmt die 20-Jährige, die seit Herbst Sport und Biologie auf Lehramt studiert und an diesem Wochenende in Tschechien beweisen will, dass Veränderungen dich auch sportlich auf eine neues Level heben können.
Es ist ihre dritte Weltcupsaison, die am Donnerstag um 17.30 Uhr mit dem Shorttrack-Rennen in den Hügeln Mährens rund ums Biathlon-Zentrum von Nove Mesto beginnt. Es ist gleichzeitig die, der sie mit besonderer Spannung entgegenfiebert. Dass sie als U 23-Athletin in diesem Jahr zum ersten Mal in ihrer Karriere zu den besten 100 Elite-Fahrerinnen weltweit zählt, ist nur eine Randnotiz. Viel wichtiger ist das, wo sie hin will: weiter nach vorn in Richtung Weltspitze. Hart, sehr hart, sagt sie, sei dieser Weg. Sie hat einen klaren Kopf, weiß Dinge richtig einzuordnen. Ihre zwei Top-Ten-Platzierungen vergangenen Sommer bei den Übersee-Weltcups in USA und Kanada waren ein Quantensprung und eine Kampfansage an die Konkurrenz. Sie weiß aber auch: Das Feld der Favoritinnen war damals ausgedünnt wegen der bevorstehenden WM.
Nicht zu wissen, wo man steht, ist die vielleicht größte Last. Dass in diesem Jahr vieles besser lief als zuvor, ist ein Bewusstsein, das stützt. Kein Abi-Stress mehr, keine Krankheiten. Unter ihrem neuen Trainer Barry Austin, der auch Deutschlands zurzeit besten Mountainbiker Luca Schwarzbauer aus Reudern betreut, hat sie so umfangreich und hart trainiert wie nie zuvor. Weniger Grundlage, mehr intensive Einheiten. Das, worin ihre Stärken liegen: kurze, harte Antritte, bevorzugt in Steilpassagen. Sie verfügt über eine Eigenschaft, die in ihrem Sport ein Pfund ist: die Fähigkeit, Schmerzgrenzen zu überwinden, die Bereitschaft, sich zu quälen. Technisch zählt die junge Weilheimerin ohnehin zu den Besten auf jedem Parcours dieser Welt. Im Perspektivteam Cube „Next Generation“, für das sie erstmals im Weltcup startet, fühlt sich seit diesem Winter zudem vieles maßgeschneidert, professioneller an. Was das alles wert sein wird? „Man wird sehen“, sagt sie locker. Ein Top-Ten-Platz im Crosscountry-Rennen am Samstag wäre der Traum. Dafür müsste sie im nur 25 Minuten dauernden Shorttrack zum Auftakt am Donnerstag möglichst unter die ersten acht sprinten, um im eigentlichen Rennen (Samstag, 17 Uhr) einen Startplatz in der ersten Reihe zu ergattern.
Nove Mesto ist eine erste Orientierung im internationalen Vergleich. Das erste Rennen, in dem die gesamte Weltelite am Start sein wird. Die Favoritinnen kommen aus Dänemark, den Niederlanden oder Italien. Im vergangenen Jahr landete die Weilheimerin hier auf einem enttäuschenden 57. Platz nach gerade überstandener Corona-Erkrankung. Am Ende setzte sie mit Platz 13 in der Weltcup-Gesamtwertung ein dickes Ausrufezeichen hinter die Saison.
Saison dauert bis Oktober
Eine klare Verortung wird Nove Mesto auch diesmal nicht bieten. Die Saison ist lang. Länger als gewohnt. Acht Weltcup-Termine stehen im Kalender. Die Übersee-Rennen in Snowshoe und Mont-Sainte Anne finden erst im September und Oktober statt. „In diesem Jahr heißt es, die Form halten“, sagt Kira Böhm. Das bedeutet nicht nur gezielte Belastungssteuerung im Training, das heißt auch: locker bleiben. Sie nennt es: raus aus der „Bike-Bubble“ oder rauf aufs lila Hollandrad und ins Freiburger Café um die Ecke radeln, um sich mit Freundinnen von der PH zu treffen. „Es gibt auch ein Leben nach dem Sport“, sagt die 20-Jährige, die einmal mit Kindern arbeiten will und im März bei einem Praktikum an der Kirchheimer Raunerschule festgestellt hat: „Das ist genau mein Ding.“
Sie liebt ihren Sport, dem sie das allermeiste unterordnet. Und dennoch: Als frühere Waldorfschülerin hat sie gelernt, den Blick zu weiten. In der Natur zu sein, bedeutet mehr als halsbrecherische Downhills in schwierigstem Gelände. Die Elemente spüren, das wahre Leben auch durch die Rennbrille nicht aus dem Blick verlieren. „Ich kann meine Socken selber stopfen“, sagt sie und lacht. Sie kann aber auch träumen. Vom letzten Renntermin in Nordamerika. Und einem anschließenden Einkaufsbummel in New York.
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