Kirchheims OB Matt-Heidecker über das Sportjahr 2015, Vorlieben und Kindheitserlebnisse
Knights in Bundesliga? Ja, wenn . . .

Angelika Matt-Heidecker (62) ist seit zwölf Jahren Kirchheimer Oberbürgermeisterin. Wie kaum eine zweite Stadt-Chefin fiebert sie mit den lokalen Mannschaften und Einzelsportlern förmlich mit – Sport ist für die eingefleischte VfB-Anhängerin eine echte Herzensangelegenheit. Ein Interview mit Rückblick auf das Jahr 2015 – und mit der Erklärung dazu, weshalb Kirchheims politische Frontfrau als sechsjähriges Mädchen Zuschauerin bei Fußballspielen war.

Was hat Sie am meisten gefreut im Sportjahr 2015?

Angelika Matt-Heidecker: Tatsächlich bin ich ein Freund der „Adler“ geworden – der deutschen Skispringer-Nationalmannschaft. Vor Weltmeister Severin Freund habe ich großen Respekt. Er zeigt große Leistungen und ist trotzdem immer bescheiden geblieben.

Und was hat Sie am meisten enttäuscht?

Matt-Heidecker: Erstens der Skandal beim Weltfußball-Verband FIFA, zweitens, dass im Profifußball zunehmend Unsummen von Euro ins Spiel kommen. Wenn, wie geschehen, ein Fußballer rund 100 Millionen Ablöse kostet (beim Wechsel des walisischen Nationalspielers Gereth Bale zu Real Madrid 2013/Anm. d. Red.), dann empfinde ich solch ein „Kopfgeld“ als abstoßend. Solche Summen stehen in krassem Missverhältnis zu dem, was ein Mensch wirklich leisten kann.

Eigentlich hätten wir erwartet, dass Sie Ihren Lieblingsverein VfB Stuttgart zur Enttäuschung des Jahres erklären, weil er wieder mal gegen den Abstieg kämpft. Kriegt der VfB mit dem neuen Trainer Jürgen Kramny noch die Kurve?

Matt-Heidecker: Ich hoffe das, denn mein Herz schlägt sehr fürWeiß-Rot. Es ist eine emotionale Bindung, die schon viele Jahre besteht. Am vorletzten Samstag habe ich vom 3:1-Überraschungssieg über den VfL Wolfsburg just während des Basketballspiels der Knights gegen Baunach (85:61) in der Sporthalle Stadtmitte erfahren. Ich war richtig euphorisch. Spätabends kam im ZDF die Zusammenfassung im Sportstudio. Deswegen bin ich extra aufgeblieben.

Die Knights spielen in der ProA derzeit auf Topniveau, doch ein Aufstieg bliebe verwehrt, weil die Zulassungskriterien der Basketball-Bundesliga unverändert nicht realisierbar sind. Muss man nicht nüchtern konstatieren, dass die BBL eine Nummer zu groß ist für Kirchheim?

Matt-Heidecker: Die Knights könnten durchaus in der Bundesliga spielen. Voraussetzung ist, dass der Verein professionell aufgestellt ist. Diese Voraussetzungen werden gerade geschaffen. Eine bundesliga-taugliche Sporthalle müsste natürlich auch noch gebaut werden. Sicher ist, dass die Baukosten in Millionenhöhe nicht die Stadt Kirchheim übernehme wird, so dass die Finanzierung ausschließlich über private Investoren zu erfolgen hätte.

Unbestritten sind die Knights Kirchheims sportliches Aushängeschild. Wer taugt zur Sympathiewerbung auf überregionaler Ebene derzeit am zweitbesten: Segelflieger, Mountainbiker, Turner oder Sportschützen?

Matt-Heidecker: Die Frage ist nicht zu beantworten, denn alle vier Sportarten haben auf ihrem Sektor Besonderes geleistet, jede auf ihre Weise. Allerdings muss ich zugeben, dass der Hahnweide-Wettbewerb wegen seines internationalen Flairs schon eine herausragende Stellung hat. Wenn Piloten aus zehn, elf oder zwölf Ländern nach Kirchheim kommen, ist das einfach als sensationell zu bezeichnen. Zur VfL-Turnabteilung fällt mir die unglaublich gute Jugendarbeit ein, die seit Jahrzehnten dort geleistet wird.

Ihr aufrichtiges Interesse am Sportgeschehen vor Ort ist durch zahllose Veranstaltungsbesuche belegt – das unterscheidet Sie von Ihren Amtsvorgängern. Man weiß, dass Sie schon in jungen Jahren Sportfan waren. Wie kam es eigentlich dazu?

Matt-Hedidecker: Ich war sechs Jahre alt, da hat mich mein Vater zu allen möglichen Sportveranstaltungen mitgeschleift: zu den VfL-Fußballern, zu den Handballern, zu den Ringern. Später, als ich schon alleine unterwegs war, wurde ich Fan von Ringer Werner Bodamer, Turner Wolfgang Sahm und Basketballer Bob Pipkin. Als kleines Mädchen bin ich sehr gerne mitgegangen, denn es war immer ein schöner Familienausflug.

Haben Sie als Kind irgendeinen Sport betrieben?

Matt-Heidecker: Mit sechs trat ich in die VfL-Turnabteilung an, und ich erinnere mich noch gut an den damaligen Kinderturnwart, den wir Mädchen stets „Turnvater Franz“ nannten. Wilfried Franz, leider schon verstorben, war recht streng und legte viel Wert auf Disziplin, doch er hat mir für mein späteres Leben viel mitgegeben. Durch den Sport habe ich Kämpfen gelernt.

Sie haben einen stressigen Job – mit welchem Sport halten Sie sich fit?

Matt-Heidecker: Leider mache ich viel zu wenig, und meinen Tennisschläger habe ich seit sechs Jahren nicht mehr in der Hand gehabt. So bleibt‘s beim Fahrrad- und Skifahren im Urlaub und beim 30-minütigen Training zwei Mal die Woche auf dem Heimtrainer. Wenn ich gute Tagesform habe, schaffe ich 14,5 Kilometer und bin danach völlig ausgepowert. Aber man fühlt sich gut.

Nach einiger Verzögerung ist das neue Sportvereinszentrum an der Jesinger Allee, für das die Stadt ja eine millionenschwere Bürgschaft übernommen hat, in den letzten Wochen und Monaten gewachsen. Richtfest ist wohl Ende Februar, Eröffnung im Sommer. Wie viel wird das Gebäude dann gekostet haben?

Matt-Heidecker: 3,4 Millionen Euro waren für das Sportvereinszentrum veranschlagt worden, und es wird auch dabei bleiben. Tatsächlich geht es voran. Am 11. Januar werden die Wände aufgestellt.

Hatten Sie jemals Zweifel daran, dass das Projekt nicht rentabel genug sein könnte?

Matt-Heidecker: Ich glaube fest an den Erfolg des Sportvereinszentrums – weil es auch in anderen Städten ein Erfolgsmodell ist. Die Meinung, dass die privaten Fitnessstudios in Kirchheim eine zu große Konkurrenz für das Zentrum sein könnte, teile ich nicht. Das Publikum dort ist ein anderes als jenes, das es ins Vereinssportzentrum ziehen wird.

Thema Flüchtlinge. Wie beurteilen Sie die Lage in Kirchheim nach der Aufnahme einiger Hundertschaften?

Matt-Heidecker: 700 Flüchtlinge leben derzeit in Kirchheim, wovon allein 330 in der Charlottenstraße und 270 in der Kreissporthalle untergebracht sind. Soziale Konflikte gab es bisher keine. In den kommenden zwei Jahren rechnen wir mit etwa 1 000 Menschen, die neue Einwohner Kirchheims werden und Wohnraum benötigen. Wir werden Häuser bauen.

Die TG Kirchheim hat sich bei der Integration von Flüchtlingen besonders vorbildlich verhalten und zum Saisonstart 2015/16 extra eine neue zweite Mannschaft installiert. Wie würden Sie die viel zitierte Willkommenskultur in Kirchheim bewerten?

Matt-Heidecker: Die Hilfsbereitschaft der Kirchheimer bei der Aufnahme der Flüchtlinge war außerordentlich groß. Die Stadtbewohner haben sich von ihrer besten Seite gezeigt. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken.

Ein Ausblick auf 2016: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, die zweckgebunden in den Sport einfließen müssten. Welche wären das?

MatT-Heidecker: Erstens, dass das Sportvereinszentrum einen erfolgreichen Start hat, zweitens, dass die wohl im sechsstelligen Bereich angesiedelten Fördergelder an den Stadtverband für Leibesübungen (SfL) künftig noch mehr für die Jugendarbeit genutzt werden, und drittens, dass der VfB noch Tabellenelfter wird.