„Richtig geil“ – die Worte von Florian Baumann nach dem paralympischen Biathlonrennen von Peking an Linn Kazmaier waren in der ZDF-Live-Übertragung am Samstagmorgen nicht zu überhören. Völlig ausgepumpt lag die 15-jährige Lenningerin im Zielbereich, den sie nach sechs Kilometern mit nur einem Fehler bei zehn Schüssen nach 20.14,8 Minuten erreicht hatte, als sich ihr Begleitläufer aus Balzholz über sie beugte und sie überschwänglich lobte.
Dass die mit Abstand jüngste Teilnehmerin des deutschen Para-Teams mit der bis dahin schnellsten Zeit eine Medaille gewinnen würde, hatte sich in dem Moment bereits abgezeichnet. Als die Ukrainerin Oksana Shyshkova (20.09.0 Minuten, kein Schießfehler) wenig später ins Ziel kam, was klar: es wird Silber vor ihrer Teamkollegin Leonie Walter vom SC St. Peter, die mit ihrem Guide Pirmin Strecker 30 Sekunden hinter Kazmaier auf dem dritten Platz landete.
Knapp 7800 Kilometer entfernt in Lenningen konnte die Mutter der Vize-Paralympicssiegerin es kaum fassen. „Ein wunderschöner Wahnsinn“, fasste Gabi Kazmaier ihre Emotionen nach dem Paukenschlag der Tochter zusammen, der die Smartphones der Familie zum Glühen brachte. „Den ganzen Tag haben wir Nachrichten mit Glückwünschen bekommen“, freut sich Gabi Kazmaier über den Zuspruch für ihre sehbeeinträchtigte Tocher.
Den gab‘s übrigens nicht nur digital: Der Skiclub Lenninger Alb (SLA) hat am Samstag kurzerhand ein Banner am Lenninger Ortsschild von Gutenberg kommend aufgestellt: „Linn holt Silber im Biathlon bei den Paralympics in Peking“, prangt dort für jede(n) unübersehbar.
Dass ein Podiumsplatz für die Wintersportlerin der Skizunft Römerstein möglich war, lag auch am Ausschluss der russischen Mannschaft im Zuge des Ukraine-Kriegs. Vor sechs Wochen bei der WM in Lillehammer hatte Linn Kazmaier im Biathlon-Sprint als Sechstplatzierte beste nicht-russische Starterin aufhorchen lassen. „Sie hat mir am Telefon gesagt, dass sie es sehr schade findet, weil sie sich gerne sportlich mit den Russinnen gemessen hätte“, berichtet Mutter Gabi.
Leicht hätten die es aber auch ohne Ausschluss nicht gegen die Lenningerin gehabt. „Die Ski waren optimal präpariert und liefen sehr gut“, gibt Gabi Kazmaier die Eindrücke der Tochter wider, „und dann haben sich die beiden das Rennen auch wirklich richtig gut eingeteilt.“ Dass sie trotz Schießfehler nur knapp fünf Sekunden langsamer war als die fehlerfreie Siegerin Shyshkova untermauert das Leistungsvermögen des Talents aus dem Täle, die bereits am Montag ihren nächsten Paralympics-Start absolviert: Im Langlauf über 15 Kilometer klassisch ist eine erneute Überraschung genauso wenig ausgeschlossen wie beim Skating-Sprintrennen am Mittwoch und dem zweiten Biathlon-Rennen am Freitag.
Ob die Frau Mama ihren Wetteinsatz im Falle einer erneuten Topleistung erhöhen müsste, ist noch offen. Gabi Kazmaier hatte ihrer Tochter versprochen, dass sie einen 400-Meter-Hürdenlauf absolviert, sollte Linn in China eine Top-Acht-Platzierung erreichen. Die Stadionrunde mit Hindernissen war zu Aktivenzeiten die Paradestrecke der ehemaligen Leichtathletin der LG Filder. „Beim TSV Köngen überlegen sie schon, wann und wie ich die Wette einlösen kann“, lacht Gabi Kazmaier.