Steffi Graf, Gerd Müller, Michael Schumacher – nur drei von unzähligen Ikonen des deutschen Sports, die für ihre herausragenden Leistungen bereits mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet worden sind. Seit Montagnachmittag kann man eine 15-jährige Schülerin aus Lenningen im gleichen Atemzug mit dem Legenden-Trio nennen: Linn Kazmaier hat für ihre Erfolge bei den Paralympics in Peking die höchste sportliche Auszeichnung erhalten, die es in Deutschland gibt. Zu ihren insgesamt fünf Medaillen, die sie Anfang März in Fernost im Langlauf und Biathlon gewonnen hatte, kommt nun eine silberne Ansteckbrosche in Form eines waagerecht liegenden Lorbeerblattes, die ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montagnachmittag in Schloss Bellevue feierlich überreichte.
Der Trip nach Berlin – ein weiteres Highlight für die sehbeeinträchtigte Sportlerin, deren Leben seit Peking auf den Kopf gestellt ist. „Man muss inzwischen Grenzen ausloten und auch lernen, mal Nein zu sagen, um sie zu schützen“, schildert Gabi Kazmaier den Hype um ihre Tochter. Festakt hier, Pressetermin da und zwischendrin noch der ganz normale Schulalltag. „Von einen Tag auf den anderen wieder ganz normal funktionieren zu müssen, war schon schwer“, erinnert sich Gabi Kazmaier an ein gleichermaßen stressiges wie aufregendes Frühjahr.
Zumal von einer Trainingspause bei der jüngsten deutschen Paralympics-Medaillengewinnerin aller Zeiten keine Rede sein kann. Anfang Mai stand für Linn Kazmaier ein Klassifizierungswettkampf im italienischen Jesolo an – auf der Tartanbahn. Wo sie in der Lopie im Dress der Skizunft Römerstein unterwegs ist, geht sie in der Leichtathletik für die LG Teck an den Start. Mit nicht minder großen Ambitionen: Bei der Para-WM 2023 in Paris will Linn Kazmaier über 1500 Meter für Deutschland am Start stehen. Nicht nur aufgrund ihres Siegs beim Rennen in Jesolo stehen die Chancen gut. Zumal die Juniorin mit ihrer an der italienischen Adria erzielten Zeit auf Platz drei der aktuellen Bestenliste der Aktiven steht.
Einziges Handicap für die gehandicapte Lenningerin: In Jesolo wurde sie für die Leichtathletiksaison überraschend in eine andere Schadensklasse eingestuft. Trotz einer Sehkraft von gerade einmal fünf Prozent muss Linn Kazmaier ohne Begleitläufer antreten. „Jede Sportart macht das anders“, zuckt Mutter Gabi mit den Achseln, „es spricht aber für Linn, dass sie sich trotzdem durchbeißt.“ Obwohl die Klassifizierung zwei Jahre gilt, könnte sich eine Neubewertung kommenden Winter im Langlauf und Biathlon für 2023 positiv auf die Leichtathletik durchschlagen. „Für die Para-WM würde es dann wieder gut aussehen“, so Gabi Kazmaier.
Bevor es so weit ist, absolviert die Tochter bis zu den Sommerferien Wettkämpfe im nicht-behinderten Bereich für die LG Teck. Deren Trainer Ralf Mutscher steht in engem Kontakt mit den Übungsleitern am Sportinternat Freiburg, in dem Linn Kazmaier seit Herbst vergangenen Jahres lebt.
Und wann immer es sich ergibt, schaut der Para-Shootingstar freitags im Training der LGT im Weilheimer Lindachstadion vorbei. Dort hatte Mutter Gabi unlängst übrigens auch die Wette eingelöst, die sie gegen ihre Tochter während der Paralympics in Peking verloren hatte – bei einer Top-Acht-Platzierung war ein 400-Meter-Hürdenlauf der Frau Mama fällig, die zu ihrer Aktivenzeit selbst erfolgreiche Leichtathletin war. „Ohne Training, aber mit viel Freude“, schildert sie die Stadionrunde, die sich auch die Tochter nicht nehmen ließ: Ohne Begleitläufer, dafür aber mit Kommandogebern an jeder Hürde war Linn Kazmaier fast genauso schnell wie ihre Mutter. „Das ist eben Linn“, sagt sie, „sie geht mutig an die Dinge heran.“ Der Erfolg gibt ihr recht.