Bruckmühl. 1996 hieß sie noch Andrea Barth, war dreifache Weltmeisterin im Einer-Kunstradfahren und in ihrem Wohnort Wendlingen das sportliche Aushängeschild. Heute ist sie 44, heißt Andrea Barth-März und lebt mit Ehemann Tom und den Kindern Elias (5) und Josefine (3) im oberbayerischen 16 000-Einwohner-Städtchen Bruckmühl das Leben nach einer Karriere, die sie vor fast 20 Jahren aus Rücksicht auf die Gesundheit freiwillig beendet hatte. Seit ihrem Wegzug von Baden-Württemberg 2008 hatte sie eine weitgehend ruhige Zeit erlebt – bis zum 9. Februar 2016. Frühmorgens hatte sie ihr Mann, an diesem Tag mit dem Fahrrad unterwegs, telefonisch vom brachialen Zusammenstoß zweier Nahverkehrszüge im acht Kilometer entfernten Bad Aibling informiert – von jener Tragödie, die schließlich elf Menschen das Leben kostete. „Die Nachricht war entsetzlich für mich“, sagt Andrea Barth-März. Wenige Jahre zuvor hatte die Familie in einem 150 Meter neben der Unglücksstelle gelegenen Haus gewohnt.
Ansonsten sind Aufreger eher selten in ihrem Umfeld, und ihr Leben in Bayern nimmt seit Jahren den gewohnten Verlauf. Die frühere Einer-Weltmeisterin in Saarbrücken (1994), Epinal/Frankreich (1995) und Johor Bahru/Malaysia (1996) ist im selbst gewählten Exil weiterhin als Gesundheitsspezialistin unterwegs. An der Volkshochschule Bad Aibling ist sie unverändert Dozentin für Rückenfitness und Wirbelsäulengymnastik mit Pilates-Elementen. Womit sich für die ehemalige Auszubildende bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Kirchheim/Teck beruflich der Kreis geschlossen hat.
Die Kurse, die sie an Bad Aiblings Volkshochschule gibt, halten auch sie naturgemäß fit. Berührungspunkte mit dem echten Leistungssport hat sie hin und wieder – dann, wenn im Fernsehen Biathlon oder ein Weltcup-Slalom übertragen wird („ich bin Fan von Felix Neureuther“), oder dann, wenn ihr der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) mal wieder Eintrittskarten für ein Kunstrad-Event schenkt. Dann schaut sie sich vor Ort den Nachwuchs an oder tauscht sich mit früheren Weggenossinnen aus. Solche Rückholungen ins Kunstradgeschäft liebt sie. „Wenn mir der BDR für die Hallenradsport-WM vom 2. bis 4. Dezember in Stuttgart wieder zwei Tickets schenkt, fahre ich wieder hin“, sagt sie.
Überhaupt hat sie der Hochleistungssport, der Mitte der 1990er-Jahre ihr Leben prägte, nie ganz losgelassen. Bis heute. „Manchmal träume ich, wie ich mich auf einen wichtigen Wettkampf vorbereite und wie ich mich hinterfrage, ob das Training ausreicht, um die sportlichen Erwartungen zu erfüllen. Nach dem Erwachen bin ich dann schweißgebadet“, berichtet sie. Noch immer steckt der Leistungsdruck von einst, den sie nicht nur bei ihren sechs WM-Teilnahmen empfand, offenbar tief im Unterbewusstsein. „Gott sei Dank passieren solche Albträume nicht so oft.“ Ein Fall für den Psychiater sei sie aber nicht, sagt Andrea Barth-März und lacht.