Lokalsport
Mehr als Pokale gewonnen

Motorsport Die sprachbehinderte Kiara Henni aus Wernau ist süddeutsche Junioren-Vizemeisterin im Kartfahren. Unter den Fittichen des Teams Dutt aus Stuttgart soll es bald in den Aktivenbereich gehen. Von Karla Schairer

Viele Worte braucht es nicht, um zu verstehen, was das Kartfahren für Kiara Henni bedeutet. Wenn die 13-jährige Wernauerin davon erzählt, reicht ein Blick in ihr Gesicht. Ihre Augen blitzen, sie strahlt und die Worte finden sich leichter. „Ich liebe den Speed“, sagt die süddeutsche Junioren-Vizemeisterin. „Wenn ich am Start stehe, habe ich Lampenfieber. Wenn ich aber dann auf der Strecke bin und ich in die Kurven gehe, werde ich ruhiger.“

Der Teenager aus Wernau ist als Mädchen ohnehin eine Exotin im Motorsport, mit ihrem Handicap gleich noch mehr. Henni hat eine sprachliche Behinderung. Ursache ist ein sehr seltener Gendefekt. Ihr fehlt das noch wenig erforschte FOXP2-Gen, das umgangssprachlich als „Sprachgen“ bezeichnet wird - Henni hat Schwierigkeiten, sich zu artikulieren.

Erst seit vergangenem Jahr fährt Henni Rennen - und allen davon. „Sie fährt besser als ihre Teamkollegen, die seit Jahren schon auf der Piste sind“, sagt ihr Coach und Mentor Laurents Hörr. Der 23-Jährige aus Stuttgart hat Henni in sein Team Dutt-Motorsport aufgenommen, das Nachwuchsfahrer im Kartsport unterstützt. Hörr war 2013 deutscher Meister im Kartfahren, danach fand er seinen Weg in den Formelsport und in der Prototypenklasse. Er fährt in der LMP3-Klasse unter anderem in Le Mans.

„Kiara hat ein ganz großes Gefühl für den Kart, sie hat sehr feine Bewegungen“, sagt Mentor Hörr. „Kiara fallen gewisse Bewegungen etwas schwerer, deshalb ist es interessant und beeindruckend, dass sie beim Fahren viel feinmotorischer agiert als Gleichaltrige.“

Das war es auch, was ihren Vater Bruce Henni so überraschte, als seine damals achtjährige Tochter auf dem Hof seiner Kfz-Werkstatt ihre ersten Runden im Tretkart drehte. „Ich vermute, dass der Gendefekt auch Auswirkungen auf die Motorik hat“, sagt der Mechaniker. „Kiara hat Schwierigkeiten, ihre Kraft einzusetzen und zu koordinieren.“ Aber Kiara vollzieht eine Wandlung, wenn sie am Steuer sitzt. „Mit einer Hand steuerte sie haarscharf an den Autos vorbei und sagte zu mir: ‚Papa, ich hab es im Griff.‘ “ Bruce Henni schüttelt lachend den Kopf, wenn er sich daran erinnert. „Das Mädle fährt so sauber. Das ist, wie wenn ein Stotterer anfängt zu singen.“ Kiaras Talent war entdeckt.

Interesse kommt nicht überraschend

„Sie hat Benzin im Blut, wie ich“, sagt Bruce Henni, der großer Motorsportfan und seit Jahren mit Laurents Hörrs Vater befreundet ist. Kiara Henni wächst in der Werkstatt der Eltern auf, eine kleine Indoor-Kartbahn gibt es gleich nebenan - überraschend ist ihr Interesse nicht. Doch das Talent. Das Fieber hat sie komplett gepackt, zahlreiche Pokale hat sie innerhalb einer Saison geholt. Nachts steht der Pokal des süddeutschen Vizemeistertitels so neben ihrem Bett, dass sie ihn beim Einschlafen als Letztes und beim Aufwachen als Erstes sieht.

Dass der Kartsport Kiara Henni so glücklich macht, liegt auch daran, dass sie dadurch erstmals guten Kontakt zu anderen Kindern hat, zu Hörrs anderen Schützlingen. „Sie hat das erste Mal in ihrem Leben Bekanntschaften, nimmt einfach an den Rennen und drumrum teil“, sagt ihr Vater. „Auf der Grundschule wurde ich gemobbt und gehänselt“, sagt seine Tochter. Sich verbal zu wehren, schaffte sie nicht. Jetzt, als Kiara, die Rennfahrerin, hat sie auf der Realschule ihre erste Freundin gefunden. Wenn die Siebtklässlerin das erzählt, strahlt sie genauso, wie wenn sie vom Kartfahren redet.

Auf der Kartbahn ist es entscheidend, wie schnell und clever Henni fährt. Wie schnell sie spricht, wie viel sie sagt, ist nicht wichtig. „Ich freue mich am Ende, dass ich es geschafft habe“, sagt Kiara Henni. „Ich liebe es, zu überholen, zu drängeln, die anderen dann zu blockieren.“

Während Vater Bruce Henni mit seiner Tochter die Wochenenden auf der Rennstrecke verbringt, am Kart schraubt und mit ihr trainiert, ist die Mutter Iveta - neben Therapiebehandlungen wie Logopädie - für die Fitness der Tochter zuständig. „Die Kraft brauche ich, damit ich keinen Unfall baue“, sagt Kiara. „Sonst habe ich nach einer Runde keine Kontrolle mehr.“ Ihre Mutter ist daher beim Seilspringen hinterher. „Anfangs war ich noch dabei, als Kiara zum Spaß gefahren ist“, sagt sie. Aber seit die Tochter Geschwindigkeiten von 120 Kilometern pro Stunde erreicht, kann die Mutter nicht mehr zusehen. „Ich bleibe im Auto sitzen oder zu Hause.“

Kiara Hennis großes Idol ist Sophia Flörsch, die erste Frau, die in der Formel 4 Punkte sammelte und auf dem Podium landete. „Sie hatte vor zwei Jahren einen schlimmen Unfall und fährt trotzdem weiter“, sagt Kiara Henni. Für ihren Mentor Laurents Hörr ist sie selbst ein Vorbild. „Sie setzt sich im Motorsport als Mädchen und dazu noch mit ihrem Handicap durch, darauf kann sie stolz sein.“

Stolz und selbstbewusst, aufrecht in ihrer vollen Größe steht Kiara Henni da, strahlt - durchs Kartfahren hat sie mehr als Pokale gewonnen.