Lokalsport
Mit „Funino“ zurück nach oben? Straßenfußball erobert den Rasen

Reform Das neue „Funino“-Konzept soll Nachwuchskickern nicht nur den Spaß am Spiel zurückbringen, sondern sie auch gezielter fördern. Die bisherige Resonanz ist trotz anhaltender Kritik positiv. Von Max Pradler

Dribbelstarke Kreativkicker gesucht: Mit dem Funino-Konzept soll der Jugendfußballbereich revolutioniert werden.  Foto: Markus Brändli

Die Kritiker sind sich einig: Der deutsche Fußball steckt in einer tiefen Krise. Zu trostlos waren die jüngsten Leistungen der Männer-, Frauen- und U21-Nationalmannschaft. Der Grundtenor: Es mangelt an dribbelstarken, spielintelligenten Kreativkickern und ohnehin wäre der deutsche Fußball im internationalen Vergleich viel zu langsam.

Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt also für eine Frischzellenkur. Zur Saison 2024/25 tritt eine Reform in Kraft: „Funino“, das kindgerechte Konzept mit dem klangvollen Namen, soll nicht nur den Nachwuchsfußball nachhaltig revolutionieren, sondern auch die Straßenkicker-Mentalität wiederbeleben.

Spiel ohne Schiedsrichter
Aber was steckt hinter der Reform, über die aktuell so hitzig diskutiert wird? Die eigentliche Bezeichnung „FUNiño“ ist eine Wortverbindung aus dem englischen „Fun“ (Spaß) und dem spanischen „Niño“ (Kind) und soll die Anzahl der Ballkontakte je Spieler und damit den Spaß erhöhen. Die Regeln sind einfach gehalten und unterscheiden sich in den jeweiligen Altersklassen nur minimal (siehe Info-Kasten): Kurz zusammengefasst, treten die Nachwuchskicker in Kleingruppen von zwei bis vier Spielern gegeneinander auf einem circa 25 mal 32 Meter großen Feld an. Dabei wird auf vier Mini-Tore ohne Torhüter gespielt – das soll verhindern, dass der vermeintlich schlechteste Spieler ins Tor „abgeschoben“ wird. Außerdem soll ein rotierendes Wechselsystem sicherstellen, dass jedes Kind zum Zuge kommt. Das Spiel findet ohne Schiedsrichter statt und die Trainer sollen nicht mehr als Aussortierer, sondern als Talententwickler agieren. Die Spielformen, die bereits schon seit vielen Jahren in der Talentschmiede des FC Barcelona etabliert sind, sollen ab der Saison 2024/25 auch in den nationalen Landesverbänden verpflichtend eingeführt werden.

Überfällige Reform
Michael Rentschler, ehemaliger Spieler und Trainer des VfL Kirchheim und seit 2006 Verbandssportlehrer beim Württembergischen Fußballverband (WFV), kennt das Prinzip des Funino bereits seit Anfang der 2000er-Jahre: „Das Konzept ist im Großen und Ganzen nicht neu, in Deutschland hatte man das in der Vergangenheit bloß nicht auf dem Schirm. Erst ab circa 2010 wurde das Funino auch in Württemberg immer regelmäßiger eingesetzt.“ Der 53-Jährige betrachtet die flächendeckende Reform als längst überfällig: „Kinderfußball wird oft mit Erwachsenenfußball gleichgesetzt. Und was für die Erwachsenen gut ist, muss doch automatisch auch für die Kinder gut sein – aber genau diese Denkweise ist der Fehler.“

Mehr Verantwortung
Funino verlangt den Nachwuchskickern einiges ab: Jeder verlorene Zweikampf könnte aufgrund des engen Spielfelds ein Gegentor bedeuten, jeder Stellungsfehler ebenso. Die Sechs-Meter-Schusszonen verhindern außerdem das wilde Bolzen aus der zweiten Reihe. Stattdessen ist Kreativität, Zusammenspiel und Dribbling gefragt, um zum Erfolg zu kommen. Auch die Größenvorteile kommen in dieser Form kaum zum Tragen. Zeit zum Verschnaufen bleibt kaum. „Jeder einzelne Spieler hat eine größere Bedeutung und muss Verantwortung übernehmen. Dabei werden nicht nur Technik, Eins-gegen-Eins und taktisches Verständnis geschult, sondern vor allem auch die kognitiven Fähigkeiten“, ist Rentschler überzeugt. „Je mehr Aktionen ich habe, desto mehr Entscheidungen muss ich treffen und desto schneller bin ich im Kopf.

Die Erfahrungen zeigen ganz deutlich, dass die Nachwuchskicker, die Funino praktizieren, gedanklich schneller sind, Spielsituationen früher erkennen und sich auch flexibler an Veränderungen im Spiel anpassen können.“

Champions-League-Modus
Weil es keine klassischen Tabellen mehr gibt, treten die Teams an Turnierspieltagen beispielsweise im „Champions-League-Modus“ gegeneinander an. Dabei sind mehrere Funino-Felder nebeneinander aufgebaut. Die Mannschaft, die gewinnt, steigt auf und rückt demnach ein Spielfeld weiter nach oben – und umgekehrt. So steht am Ende ein Gewinner fest und „die Spieler erhalten sofort ein Feedback, wer an diesem Tag am Erfolgreichsten war“, sagt Rentschler und reagiert damit auf die Aussagen der Kritiker, die Entwicklung der Gewinnermentalität gehe beim Funino verloren. „Der Sprung vom Kinder- zum Leistungsfußball ist circa ab dem 13. oder 14. Lebensjahr zu sehen. Bis dahin geht es den Kids einfach nur darum, sich ‚zum Kicken zu treffen‘, während die Rahmenbedingungen relativ egal sind. Erst anschließend rückt der Leistungsgedanke in den Vordergrund.“

„Jedes Kind fühlt sich eingebunden“
Diesen Aspekt unterstreicht auch Justin Antonucci, Trainer der U9 beim VfL Kirchheim. „Die Spielform kommt bei meiner Mannschaft supergut an. Jedes Kind fühlt sich eingebunden und ist ununterbrochen in Bewegung“, berichtet der 18-Jährige von seinen Erfahrungen im Trainingsalltag. „Die Inhalte des Funino sind weniger von Taktik geprägt und daher genau an das Alter der Spieler angepasst. Den Rest lernen sie in den älteren Jugendmannschaften ohnehin noch dazu.“

In den Achtzigern entdeckt
Seinen Ursprung hatte Funino vor über 40 Jahren: Horst Wein, ehemaliger Hockeynationalspieler und Trainer der deutschen und spanischen Nationalmannschaft, wechselte zu Beginn der 1980er-Jahre als Ausbilder nach Spanien. Dabei erarbeitete er das Trainingsmodell für Kinder und Jugendliche, das Denk- und Spielweise des Straßenfußballs berücksichtigte. „In Deutschland spielen Kinder zu früh ein Spiel, für das sie körperlich nicht bereit sind“, analysierte der 2016 verstorbene Wein.

Wer spielt wie im Funino-Konzept?

Knirpse (U 6/U 7): Gespielt wird in der Form zwei gegen zwei oder drei gegen drei. Das Feld ist maximal 28 mal 22 Meter groß und beinhaltet vier Mini-Tore. Treffer dürfen erst ab der Mittellinie (beim Zwei-gegen-zwei) oder in einer Schuss-Zone (beim Drei-gegen-drei) erzielt werden. Die Spielzeit beträgt maximal zehn Minuten. Es werden mehrere Spielfelder nebeneinander aufgebaut. Das Team, das gewinnt, rückt ein Spielfeld auf. Das andere wechselt das Spielfeld in die andere Richtung – nach dem Auf- und Abstiegsmodus. Einwurf gibt es keinen. Geht der Ball ins Seitenaus, wird eingedribbelt.
F-Jugend (U 8/U 9): Gespielt wird im Modus drei gegen drei, die Regeln gestalten sich analog zu den Knirpsen (Empfehlung des DFB). Alternativ kann die Spielform allerdings auch auf fünf gegen fünf erweitert werden. Dabei kann entweder auf die vier Mini-Tore oder auf zwei Kleinfeldtore gespielt werden. Die Maße des Spielfelds betragen maximal 40 mal 25 Meter. In diesem Fall gibt es auch jeweils einen Torspieler.
E-Jugend (U 10/U 11): Die Teams treten fünf gegen fünf (wie in der F-Jugend) oder sieben gegen sieben in einer Turnierform mit vier Mannschaften und einer Spielzeit von zweimal zwölf Minuten an. Um auch Ersatzspieler aktiv zu fördern, soll es neben dem 55 mal 35 Meter großen Hauptfeld auch noch kleinere Nebenspielfelder geben. max