Neidlingen. Erst der Schnee, dann der Frost, und am Ende heißt es wie jedes Mal: nicht lange fackeln. Schnellschüsse haben beim TV Neidlingen nichts Verwerfliches, sondern eine lange Tradition. Ohne kurzentschlossenes Handeln stünde die alpine Sparte der Kirsch- und Zwetschgengemeinde nicht für eines der ältesten Rennen im ganzen Land. In den Alpen finden Ski-Wettbewerbe statt, wenn es in den Terminkalender passt, in Neidlingen, wenn Schnee liegt. Dann aber pronto – und das seit 58 Jahren.
Diesmal war es nicht anders. Als Ende vergangener Woche die weiße Pracht vom Himmel fiel, wurde rasch gehandelt. Die am Wochenende geplanten Lindachtal-Meisterschaften am Riedberger Horn hat der Ausrichter TSV Weilheim über Nacht abgesagt. Die Suche nach einem Ersatztermin läuft. „Es war klar, dass der Reußenstein-Pokal Vorrang hat, wenn das Wetter mitmacht“, sagt Rennchef Kurt Ambacher. Das tut es: 30 Zentimeter Schnee und Dauerfrost sorgten in den vergangenen Tagen für Hochbetrieb unterm Reußenstein. Der Lohn dafür: eine Strecke, die sich in selten gutem Zustand zeigt, wie Ambacher bestätigt.
Dass dies so bleibt, daran arbeiten zahllose Helfer mit vereinten Kräften. Am vergangenen Sonntag war die Feuerwehr draußen, um mit viel Wasser für eine stabile Basis zu sorgen. Es wird geschaufelt und verdichtet, Treppen werden geschlagen und Seile als Aufstiegshilfen für die Zuschauer gespannt. Bis zu 2 000 werden erwartet, die im Zielraum und entlang der Strecke ihre Lokalhelden anfeuern. Ein Rennen mit Lokalcharakter ist der Reußenstein-Pokal bis heute geblieben. Mit wenigen Ausnahmen: 1979 gewann mit Reiner Mutschler ein Oberschwabe vom SZ Saulgau, zwischen den Jahren 1987 und 1993 dominierte der Ulmer Ludwig Merkle den Cup, und im vergangenen Jahr wiederholte Jens Ziegler vom SV Rottweil seinen Erfolg von 2005.
Wer am Sonntag ganz oben auf dem Treppchen stehen wird, ist die spannende Frage. Mit dem Kirchheimer Philipp Hauff fehlt einer der Topfavoriten auf den Sieg. Für den 25-Jährigen vom VfL Kirchheim geht es bei den schwäbischen Meisterschaften in Zöblen am Wochenende um wertvolle Punkte im SSV-Supercup. Damit steigen die Chancen für den großen Kreis der „Reußenstein-Veteranen“, für die ein Start am Sonntag Ehrensache ist: Bernd Holl (TSV Weilheim), der Sieger von 2003, oder der Kirchheimer Hans-Jörg Rapp, der seinen ersten von insgesamt drei Erfolgen 1982 feierte. Sie alle haben das Skifahren nicht verlernt.
Wie bei den Männern ist auch bei den Frauen die Topfavoritin diesmal nicht am Start: Titelverteidigerin Christine Gerber, die für den TV Neidlingen startet, steht nach einem im Herbst erlittenen Innenbandriss erst seit wenigen Wochen wieder auf den Skiern. Die Hoffnungen der Gastgeber ruhen damit auf einer Nachwuchsfahrerin, die vor vier Jahren schon einmal gezeigt hat, dass sie es kann: Julia Grüning stand als 16-Jährige 2009 ganz oben auf dem Treppchen und sorgte mit ihrem Vereinskollegen René Hitzer damals für den bisher letzten Neidlinger Doppelerfolg. Eine Wiederholung ist nicht ausgeschlossen, denn auch Hitzer streift sich am Sonntag auf seiner Hausstrecke den Rennanzug über. Mit Grüning, Ann-Kathrin Stolz und der für den SC Unterensingen startenden Manuela Schmohl sind drei der weltweit führenden Inline-Skaterinnen mit dabei.
In einer anderen brennt nach wie vor das Feuer, auch wenn der Körper inzwischen streikt: „Wenn die Jungen patzen, bin ich zur Stelle“, verspricht Daniela Ambacher mit einem Augenzwinkern. Fünfmal hat sie an ihrem Hausberg gewonnen, so oft wie keine andere. Die ehemalige DSV-Rennläuferin, die die Meldeliste verwaltet und am Sonntag mit 120 Startern rechnet, ist inzwischen 39 Jahre alt und kämpft bis heute mit den Folgen eines Skiunfalls, der acht Jahre zurückliegt. Zweimal die Woche Krankengymnastik gehört noch immer zum festen Terminplan bei ihr. Diese Woche habe sie die Zahl verdoppelt, verrät sie feixend. Die Lust, den Nachwuchs zu ärgern, ist ungebrochen. Sie fühle sich fit wie lange nicht mehr, sagt sie. Ob es für eine Überraschung reichen könnte? Die Antwort ist ausweichend und klingt trotzdem wie eine Drohung: „Eigentlich ist das ja schon mein Hang.“ Ihren Kumpel Hansjörg Tauscher würde es vermutlich freuen: „Mit welchem Herzblut sie an diesem Rennen hängt, ist schon beeindruckend“, sagt er. „An diesem einen Tag gehört ihr ganz Neidlingen.“
Das Rennen um den Reußensteinpokal wird als Riesenslalom in zwei Durchgängen ausgetragen. Start ist um 11 Uhr mit den weiblichen Altersklassen. Danach starten die Männer. Vor Beginn des zweiten Durchgangs, in dem die 30 Schnellsten in umgekehrter Reihenfolge starten, gehen die Schülerklassen auf die Strecke, die nur einen Lauf zu absolvieren haben. Startnummernausgabe ist am Sonntag um 9.30 Uhr im Zielbereich. Anmeldungen sind noch bis morgen unter www.tvneidlingen.de möglich.