Lokalsport
Niko Kappel: Aus dem Leben eines Para-Ausnahmesportlers

Veranstaltungsreihe Der Para-Sportler und Weltrekordhalter Niko Kappel philosophierte bei der BKK Scheufelen über sein Leben, seine Karriere und den Umgang mit gehandicapten Menschen. Von Tim Trento

Es war ein besonderer Abend, zu dem die BKK Scheufelen im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Gesundheit 2023“ eingeladen hatte – besonders aufgrund des Titels „Wahre Größe wird nicht in Zentimetern gemessen“ und des charismatischen Vortragenden. Niko Kappel wird unter anderem von der Kirchheimer Krankenkasse im Rahmen seiner sportlichen Aktivitäten gesponsert. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Para-Sportler (siehe Infokasten) und ein kurzweiliger Entertainer, der mit sich selbst und seinem Handicap im Reinen ist und das auch genau so vermittelt.

Anmoderiert von Jens Zimmermann, seit fast 20 Jahren Hallensprecher des Handball-Bundes­ligisten TVB Stuttgart, Sportjournalist und Kappels Manager, betritt der Athlet das Podium – und mit ihm die bewundernswerte Aura eines Spitzensportlers. Kurz sucht er in einem kleinen Anflug anfänglichen Lampenfiebers einen Platz für seine Wasserflasche, um kurz darauf den Vollprofi auf der Bühne zu geben. Immer schwäbisch-bodenständig, aber auch stets fokussiert fasziniert der Para-Sportler die rund 60 Gäste im vollbesetzten Vortragsraum der Krankenkasse von der ersten Minute an.

Mit einem Augenzwinkern schildert der kleinwüchsige Athlet Stationen seiner Kindheit, wie die Herausforderung des händischen Erreichens des Wasserhahns am Spülbecken, für das er wie auch die Kumpels zunächst einen Hocker benötigte. Später hätten das die Freunde – quasi als Meilenstein der Entwicklung – ohne den Tritt geschafft. Niko Kappel schaffte es auch. Er zog sich mit den Armen hoch, konnte dann aber halt nur eine Hand waschen, weil er die andere ja zum Festhalten benötig­te. „Egal – hat geklappt, abgehakt“, stellte der Junge damals fest, der zunächst, beim Jugendfußball gelandet war. „Die Trikots hatten Einheitsgröße. Da hätte ich auf die Hose auch verzichten können“, bemerkte Kappel, wie so oft mit einem Augenzwinkern – und hatte die Lacher auf seiner Seite. Der 28-Jährige ist zutiefst geerdet und hilft seinem Auditorium damit, Unsicherheiten im Umgang mit Behinderten zu vermeiden.

2008, so erzählt der Athlet, sei er zum Kugelstoßen gekommen. Bei der Junioren-WM 2010 habe er die Drei-Kilo-Kugel auf 7,95 Meter gestoßen. Sein ewiger Rivale, der ein Jahr ältere Pole Bartosz Tyszkowski, habe ihn damals mit 12,44 Metern um Längen geschlagen. Doch Kappels arbeitete an sich, wechselte 2014 zu Landestrainer Peter Salzer. Der, so der gebürtige Gmünder, habe das Stoßen von der Angleich- auf die Dreh-Stoß-Technik umgestellt. Es war damals, das weiß Niko Kappel heute, ein elementarer Schritt für die sportliche Karriere, der bereits im ersten Jahr eine Weitensteigerung um fast 2,5 Meter einbrachte. „Meine Drehung dauert nur eine Sekunde. Ich arbeite bei sechs Versuchen somit keine zehn Sekunden – aber die müssen halt perfekt sein“, sagt der ehrgeizige Sportler, dessen Credo es ist, sich auf die eigene Stärke zu konzentrieren.

Ins Schwärmen kommt der Leichtathlet, wenn es um die Para­lympics in Rio geht. 2016 gelang ihm dort mit 13,57 Metern der Gewinn der Goldmedaille – exakt ein Zentimeter weiter als Tyszkowski. „Mein Wettkampf war schon am ersten Tag. Danach hatte ich zehn Tage Zeit bis zum Rückflug und kannte daher den Barkeeper im Deutschen Haus am Schluss ziemlich gut“, erinnert sich Kappel und gibt in der Folge weitere Anekdoten zum Besten, in denen er sich selbst gerne auf den Arm nimmt. Das Publikum honoriert es mit Zwischenapplaus und ist ob eines eingespielten Videos erstaunt, in dem der gelernte Bankkaufmann eine Kraft-Trainingseinheit aufgezeichnet hat. Bei 72 Kilogramm Körpergewicht hatte er nicht weniger als 265 Kilogramm auf der Hantelstange.

Niko Kappel nimmt sein Publikum mit, als er lebhaft und bebildert die Trainingssituation während der Pandemie darstellt, als er den eigenen Keller ausgeräumt und mit mechanischer Gerätschaft aus dem benachbarten Sportstudio aufgerüstet hatte, um die Fitness einigermaßen adäquat zu erhalten. Der Aufwand hat sich gelohnt, denn 2022 steigerte er den eigenen Weltrekord nochmals um fünf Zentimeter auf 14,99 Meter. 

So augenzwinkernd wie er seinen Auftritt begonnen hatte, beendet Niko Kappel ihn auch, als er seinen Vortrag mit dem erweiterten Veranstaltungstitel schließt: „Wahre Größe wird nicht in Zentimetern gemessen – außer beim Kugelstoßen.“

„Ich bin immer noch hungrig“

Niko Kappel gehört zu den erfolgreichsten Para-Sportlern Deutschlands. In Kirchheim sprach der 28-jährige Kugelstoßer über seine Karriere im Allgemeinen und die Inklusion im Besonderen.

Niko, Sie haben Medaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei den Paralympics geholt und halten den Weltrekord im Kugelstoßen. Welche sportlichen Ziele gibt es da eigentlich noch?
Ich habe tatsächlich seit 2017 keinen Titel mehr gewonnen, obwohl ich in der Zeit mindestens sechs Weltrekorde aufgestellt habe. 2024 haben wir die WM in Kobe/Japan und die Paralympics in Paris – und ich bin immer noch hungrig auf Medaillen, vor allem auf goldene.
Wie gehen Sie in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Selbstmotivation“ um?
Ich habe immer noch Bock darauf, an meine Grenzen oder darüber hinaus zu gehen. Ich möchte die 15-Meter-Marke knacken, noch einmal das Gefühl von Rio erleben: eine paralympische Goldmedaille zu gewinnen, auf dem Podest zu stehen und die Nationalhymne zu hören – einen besonderen Moment genießen.
Ist es für den ­beeinträchtigten Körper des Para-Sportlers schwieriger als für einen „nor­malen“ Athleten, das hohe Niveau zu erhalten?
Das kann man nicht pauschalisieren. Es gibt genug nicht behinderte Sportler, die fast jährlich unters Messer müssen. Die Beanspruchung des Körpers spielt eine große Rolle. Die bekannten Schwachstellen bei Kleinwüchsigkeit habe ich gut im Griff.
Folgt man der Politik, ist das Thema „Inklusion“ erfolgreich forciert worden. Ist das, was gemacht wurde, ausreichend oder wo könnte es noch besser laufen?
Die Politik hat erreicht, dass die Leute sich mit Inklusion beschäftigen. Das Wichtigste für mich ist, allen Beteiligten das Gefühl zu geben, dass das gar nicht so schwierig ist. Wenn es aber jemand kompliziert macht, ist es keine Inklusion mehr. Der eigentliche Begriff bedeutet ja „Gleichstellung“ mit allen Vor- und Nachteilen und nicht „Bevorzugung“ Tim Trento