Lokalsport
Nur knapp der Katastrophe entronnen

Radsport Jannik Steimle erholt sich von seinem schweren Sturz vor drei Wochen im Rennen. Dass es das Schicksal gut mit ihm meinte, wird erst jetzt klar. Von Bernd Köble

Es gibt Geburtstagsgeschenke, die tun höllisch weh, obwohl sie Freude bereiten. Sein impulsiver Jubelschrei nach dem Überraschungserfolg des Teamkollegen Kapser Asgreen bei der Flandern-Rundfahrt am Ostersonntag dürfte Jannik Steimle noch eine Weile schmerzhaft in Erinnerung bleiben. Die Szene im Fernsehen ließ ihn für einen Moment vergessen, dass seine lädierten Knochen gerade erst am Abheilen sind.

An diesem 4. April ist Jannik Steimle 25 Jahre alt geworden. Was er nicht vergessen wird: Wie viel Glück er an jenem Mittwoch vor drei Wochen hatte, als er beim belgischen Eintagesrennen Nokere Koerse fünf Kilometer vor dem Ziel in einen Begrenzungszaun krachte. Ein kapitaler Sturz, von dem weder TV-Bilder noch Erinnerungsfetzen in seinem Kopf geblieben sind und von dem man erst jetzt weiß, dass er sein Leben, so wie er es bis dahin gekannt hatte, mit einem Schlag hätte verändern können. Zum Geburtstag an Ostern hat ihm deshalb auch sein behandelnder Arzt gratuliert. Allerdings anders als üblich. „Bei ihm sind nicht nur Rippen und obere Schulterpfanne gebrochen. Er hat vielfache Frakturen an der Wirbelsäule und am Brustkorb“, sagt der Esslinger Sportmediziner Michael Ulmer. „Jannik hatte Riesenglück. Wir sind froh, dass er noch gehen kann.“

Kampf um neuen Vertrag

Es sind Erfahrungen, die das Denken verändern. Er nehme Dinge seitdem bewusster wahr, sagt Jannik Steimle. Dass sein Sport gefährlich ist, wusste er. Sein Lebensinhalt wird er bleiben - zumindest im Moment. Es ist Leidenschaft und Beruf. Ein Beruf, der alles fordert und in dem sich viel Geld verdienen lässt, wenn man Erfolg hat. Wann der zurückkehren wird, weiß er nicht. Es ist sein zweites Jahr im weltbesten Radsport-Team. Ein Jahr, in dem er sich bei Deceuninck Quick Step für einen neuen Vertrag empfehlen wollte. Dort, wo seine Stärken liegen, bei den Frühjahrsklassikern. Die finden jetzt ohne ihn statt, doch die Signale des Arbeitgebers seien positiv, sagt er. Man will ihm genügend Zeit geben, zurückzukommen. Das Gefühl, von Kollegen geschätzt zu werden, hilft dabei. Der amtierende Weltmeister Julian Alaphilippe, der einst weltbeste Sprinter Marc Cavendish - sie alle haben angerufen und ihn ermuntert.

Gestern saß er zum ersten Mal wieder auf der Rolle. Ein Holzkasten, den ihm sein Vater gezimmert hat, ermöglicht eine schmerzfreie Armposition. Wenn der Körper von hundert auf null abgebremst wird, ist man dankbar für jede Form von Belastung. „Es hat sich gut angefühlt“, sagt Jannik Steimle, der weiterhin strikt dem Rat seiner Ärzte folgen will, ein Ziel dabei aber noch nicht ganz aufgegeben hat: Die deutschen Straßenmeis- terschaften am 20. Juni in Stuttgart sind zwar nicht das, was bei Quick Step ganz oben auf der Liste steht. „Aber Fahrer im Trikot des nationalen Meisters sieht jede Teamleitung gern“, sagt Steimle. Für ihn ist es schlicht das Heimrennen. „Bis Juni ist es ein enges Zeitfenster“, sagt er. „Ich werde auf jeden Fall nichts überstürzen.“

Schließlich sorgt die Pandemie wie schon im Vorjahr dafür, dass auch der Herbst im Radsport noch reich ist an Höhepunkten. Paris-Roubaix, das eigentlich am 11. April hätte ausgetragen werden sollen, findet nun am ersten Oktober-Wochenende statt. Es wäre sein erstes sogenanntes Monument in seiner Radsport-Karriere. Und dann ist da auch noch die WM am 26. September in Flandern, der Heimat von Quick Step. Das Jahr ist nicht verloren. „Wenn ich belastbar bin, brauche ich drei Wochen, um auf mein altes Level zu kommen“, sagt Jannik Steimle. „Der Rest ist dann nur noch Rennhärte. Die kommt von ganz allein.“