Kirchheim. Auf den ersten Blick sieht es wie ein Freundschaftsdienst aus, den der venezolanische Tennisspieler Luis Jaimes Baclini gut 8 000 Kilometer von der Heimat entfernt derzeit in der Teckregion ableistet: Als ihn TCK-Spieler Alex Miehle, der seit der gemeinsamen Studienzeit 2012 in Kalifornien sein Freund ist, vor Monaten zu einem Deutschlandaufenthalt inklusive Teilnahme an den Verbandsliga-Rundenspielen des TC Kirchheim einlud, sagte er rasch zu. Baclini findet das Tingeln durch die Weltgeschichte reizvoll, und zu seinem Ex-Kommilitonen war der Kontakt nie abgerissen. Letztlich fiel es dem jungen Mann aus der Anden-Stadt San Cristóbal leicht, Mittelamerika gegen Zentraleuropa für ein paar Wochen einzutauschen.
Umso mehr, als seine Heimat derzeit von schweren Unruhen erschüttert wird: Anhänger aus dem Präsidentenlager und Anhänger der Opposition bekämpfen sich schon seit längerer Zeit. Venezuela lebt noch immer im Ausnahmezustand, und genau wie seine Eltern und wie den Bruder hat es den TCK-Neuzugang politisch an die Seite von Oppositionsführer Leopoldo López geschlagen, der der Intimfeind des amtierenden Machthabers Nicolás Maduro ist. Baclini beschreibt sich als Demokratie-Anhänger und die Gegenseite als diktatorisch geprägt. Mittlerweile studiert er in seiner Heimatstadt Wirtschaft und ging in der Vergangenheit mit Gleichgesinnten zum Demonstrieren gegen das Regime auf die Straße. „Doch wer in Venezuela gegen die Regierung ist, muss um sein Leben fürchten, auch meine Eltern und mein Bruder müssen das“, sagt er und fügt an: „Dieser Konflikt ist der Hauptgrund, warum ich in Deutschland bin.“ Laut einer Landesstatistik ist Mord für männliche 15- bis 24-Jährige in Venezuela die Todesursache Nummer eins – angesichts der Bedrohungslage kam dem Mittelamerikaner das Aufenthaltsangebot aus Süddeutschland gerade recht.
Derzeit wohnt Baclini in Zell unterm Aichelberg und fühlt sich bei den Miehles pudelwohl. „I am feeling safe in Germany“, beschreibt er seine Befindlichkeit. Deutsch spricht er nicht, dafür mag er neben deutschem Essen deutsche Autos: Ein Besuch des Daimler-Museums steht auf dem Wunschzettel ganz oben. Fast täglich trainiert Baclini auf dem TCK-Areal mindestens zwei Stunden lang. Abends tut er dann das, was in diesen Tagen die meisten hierzulande tun: Fußball gucken. „Venezuela ist ja nicht qualifiziert. Deshalb drücke ich unserem Nachbarland Kolumbien bei dieser Weltmeisterschaft die Daumen“, sagt er. Fußball ist in diesen Tagen besonders wichtig für ihn. Auch zum Verdrängen so manch düsterer Gedanken.
Sportlich soll es für den früheren venezolanischen U 18-Auswahlspieler ohne aktuellen Weltranglisteneintrag künftig aufwärts gehen. „Ob mein Potenzial ausreicht, um noch Tennisprofi zu werden, weiß ich nicht“, sagt er selbstkritisch. Falls es erwartungsgemäß nicht klappt mit dem großen Tenniszirkus, will er nach Ende des Studiums einen Zivilberuf ergreifen („am liebsten mit eigener Firma“) und nebenher Freizeit-Tennisspieler bleiben. Seinen Lieblingssport ganz ohne Leistungszwang auszuüben, kann er sich sehr gut vorstellen.
Zumindest eines lässt sich über Kirchheims ersten Tennis-Import aus Venezuela aber schon jetzt sagen: Württembergisches Verbandsliga-Format bringt Luis James Baclini auf alle Fälle mit. Beim jüngsten 9:0-Sieg über den TC Tachenberg fegte der Mittelamerikaner trotz anfänglichen Nervenflatterns Marius Möller 6:4, 6:1 vom Feld – und das, obwohl sein Kontrahent vom Württembergischen Tennis-Bund (WTB) zwei Leistungsklassen höher eingestuft gewesen war. Doch Baclini, von Mitspieler Miehle bereits zur echten Verstärkung hochstilisiert („mit ihm sind wir stärker“), ist ehrgeizig, will seine Formkurve unter TCK-Trainer Jörn Kaiser auch im morgigen Verbandsliga-Heimspiel gegen den TC Bietigheim (ab 10 Uhr) weiter nach oben schnellen lassen. Wenn er in knapp fünf Wochen Deutschland verlässt, will er in punkto eigener Leistungseinstufung ein bisschen klüger sein.