Der Neidlinger Hermann Gunzenhauser war erster Deutscher mit Startrecht nach Zweitem Weltkrieg
Profi-Rennfahrer in der Hitler-Zeit

Vor 80 Jahren, mitten im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, stieg ein Neidlinger Unternehmersohn zum gefeierten Europa-Star auf: Der Motorrad-, Sandbahn- und Speedway-Rennfahrer Hermann Gunzenhauser gewann in der Zeit des Nationalsozialismus ein Rennen nach dem anderen. Er brachte es bis zum Europameistertitel.

Neidlingen. Es war im Olympiajahr 1936, als Hermann Gunzenhauser 25-jährig ein international bekannter Motorrad-Rennfahrer war. Wo immer der Neidlinger mit Tross und Schmiermaxe zu einem Rennen auftauchte, bekamen erwachsene Zuschauer leuchtende Augen – längst hatte sich Gunzenhausers überlegenes Fahrergeschick, das Siege in Graz, Prag-Strahov, Wien-Krieau und München-Daglfing garantiert hatte, herumgesprochen. Als er zum bekannten Sandbahnrennen im damals noch schlesischen Kotzenau auf Veranstalter-Wunsch ein paar Tage früher anreiste und auf seiner englischen 350-ccm-Rudge-Maschine einige Testrunden drehen wollte, warteten schon 1 000 erwartungsfrohe Besucher auf ihn.

Wie der gebürtige Neidlinger seinen Hang zum Motorradsport entdeckte, ist nicht überliefert. Verbürgt ist indes, wo die Wiege seiner Karriere stand: in der Mühlstraße. Im elterlichen Haus bei der „Unteren Mühle“ hatte der Mann eine Werkstatt, in der er meist nichts anderes tat, als Motorräder zu reparieren, zu frisieren oder auf hohen Rennstandard zu trimmen. In den 1930er-Jahren drehte sich bei Hermann Gunzenhauser praktisch alles nur noch um die Rennerei – ganz zum Verdruss seines (gleichnamigen) Vaters, der lieber ihn als den älteren Sohn Wilhelm zu seinem Nachfolger aufgebaut hätte. Doch anstatt im elterlichen Sägewerk, der Getreidemühle oder in der Stromerzeugung zu arbeiten, widmete sich Gunzenhauser jun. in den 1930er-Jahren lieber den Zündkerzen einer Rennmaschine. Nicht selten drehte er im Ort noch Testrunden unter dem anhaltend lauten Geknattere der Motoren. Was die Bauern in der Nachbarschaft rechtschaffen wütend machte, weil beim Höllenlärm die Milchproduktion der Kühe stockte.

Der junge Springinsfeld Gunzenhauser, der wie viele NSDAP-Mitglied war, aber kein Funktionsträger (siehe auch Interview), setzte allen Familienkonflikten, den Vorkriegswirren und Anfeindungen zum Trotz ganz auf die Karte Motorsport. Jahrelang lebte er von dem, was seine ungezählten Renneinsätze in Österreich, Tschechien, Ungarn, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland an Geldprämien abwarfen – der Neidlinger wurde zum ersten Sportprofi im Ort. Und immer besser. Die jährliche Auszeichnung „Goldener Helm“ für sportliche Höchstleistungen bekam er nicht nur einmal. Prestigeträchtig war auch der Aufstieg zum Jawa-Werksfahrer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er, vom Wehrdienst freigestellt, daheim in Neidlingen verbrachte, setzte der Mann nach seiner Entnazifizierung als 36-Jähriger seine Rennsport-Karriere fort. „Gunzi“, wie ihn seine Freunde nannten, siegte weiter durch halb Europa – an seiner Seite stets der langjährige Schmiermaxe Werner Holder. In den 1950er-Jahren verdiente Gunzenhauser, inzwischen Chef des elterlichen Betriebs, richtig gutes Geld. „Ich erinnere mich, dass er damals einige teure Autos wie Alfa Romeo oder Lancia vor dem Haus stehen hatte, mit denen er dann auch zu seinen Rennen fuhr“, sagt Zeitzeugin Monika Gienger (74), die nach dem Volksaufstand in der DDR 1953 von Dresden nach Neidlingen geflüchtet war.

Hermann Gunzenhausers Erfolgsgeschichte binnen 16 Jahren als Motorradfahrer ist lang. Der Gewinn einer Sandbahn-Europameisterschaft und deutschen Meisterschaft sind darin ebenso enthalten wie unzählige Lorbeerkränze, Plaketten, Urkunden und Trophäen. Bis zum Oktober 1951 hatte Gunzenhauser in über 1 000 Rennen 576 erste Preise eingeheimst, wie er einem lokalen Reporter in Neidlingen seinerzeit erzählte. Seine Siegervitrine drohte zu platzen.

Als Motorrad-Rennfahrer ging Hermann Gunzenhauser in die Annalen ein – auch deshalb, weil der Neidlinger der erste Deutsche war, der nach dem Zweiten Weltkrieg von den Behörden die Starterlaubnis für ein internationales Rennen bekam. Es war das Rennen am 4. Oktober 1947 vor 50 000 Besuchern in der Grazer Trabrennenbahn, und es endete tödlich, weil einer der beiden Rennbahn-Rivalen, Martin Schneeweiß (Österreich) oder Hermann Gunzenhauser, die Situation einen Augenblick lang völlig falsch einschätzte. Als Gunzenhauser in Runde sieben in einer Kurve am Gegner vorbeiziehen wollte und dieser nach innen drückte, kam es zur Kollision. Zwei Menschen und zwei Maschinen wirbelten danach durch die Luft, aber nur Gunzenhauser kam mit einer schweren Gehirnerschütterung und einer Nackenprellung einigermaßen glimpflich davon. Schneeweiß, der einen Schädelbasisbruch erlitt, wurde in die Unfallklinik gefahren, dort intensiv behandelt und starb schließlich drei Tage später an einer Gehirnblutung.

Nach seiner Rekonvaleszenz ging für Gunzenhauser das Rennfahrerleben noch acht Jahre weiter. 1955 beendete er seine Laufbahn im Alter von 44 Jahren.