An manchen Tagen türmen sich auch für einen hartgesottenen Profi die sanften Hügel im Albvorland zu Bergen auf. Die Fahrt von seinem Wohnort in Schorndorf nach Bissingen bei 37 Grad am Sonntagnachmittag sei hart gewesen, meint Jannik Steimle. Da hatte der Weilheimer im Trikot von Quick-Step allerdings bereits fünf Stunden knüppelhartes Zeitfahrtraining in den Beinen. Den mehr als einstündigen Besuch der „Bissinger“ Meile, dem Breitensport-Event in seiner alten Heimat, ließ Steimle sich ebenso wenig nehmen wie seinen Start bei der 1. Kirchheimer Radnacht am 2. Juli, die er mitveranstaltet.
Bodenhaftung macht sympathisch. Dabei ist es wörtlich gefasst genau das, was Radprofis am meisten hassen. Am kommenden Freitag will Steimle über den Asphalt fliegen. Das Einzelzeitfahren bei den Deutschen Meisterschaften im Sauerland ist das, worauf im Moment sein Fokus liegt. Nach dem Karriereende des „Panzerwagens“, wie Kollegen den vierfachen Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin respektvoll nennen, werden die Karten neu gemischt. Vergangenes Jahr in Öschelbronn legte der zum Abschied noch einmal eine satte Minute zwischen sich und mögliche Thronfolger bei der DM. Am Freitag beginnt folglich eine neue Ära und Steimle rechnet sich durchaus Chancen, zumindest auf eine Medaille, aus.
Dass er den Mund damit nicht zu voll nimmt, hat er vor gut zwei Wochen bei der Dauphine-Rundfahrt gezeigt. Beim Einzelzeitfahren am dritten Tag über knapp 32 Kilometer landete der 26-Jährige im Weltklassefeld mit Fahrern wie dem Sieger Filippo Ganna, Wout van Aert oder Primoz Roglic auf dem zwölften Platz. Dem zweifachen deutschen U 23-Meister in dieser Disziplin, Miguel Heidemann, der bei der DM 2021 hinter Tony Martin Silber holte, nahm Steimle in Frankreich immerhin 26 Sekunden ab.
Der Kurs am Freitag rund ums westfälische Marsberg ist mit 27,5 Kilometern nur unwesentlich kürzer, dafür mit 632 Höhenmetern aber deutlich bergiger. Nicht unbedingt ein Nachteil. Steimle zählt zwar nicht zu den Kletterern, ist aber in puncto Aerodynamik auch kein Perfektionist wie Tony Martin es war. „Ein anspruchsvollerer Kurs“, sagt er selbst, „kommt mir eher entgegen.“ Er hat den Punch fürs Hügelland, kann in moderaten Anstiegen hohe Wattzahlen treten. Eine Gewähr ist das alles freilich nicht. Treffen die Wetterprognosen zu, wird Hitze am Freitag kaum eine Rolle spielen, eher drohende Nässe und ein böiger Wind. Da die Besten innerhalb eines kurzen Zeitfensters starten, gilt immerhin: Ähnliche Bedingungen für alle.
Imposanter als das Wetter ist am Wochenende die Konkurrenz. Am Start ist fast alles, was im deutschen Radsport einen Namen hat: Das Giro-gestählte Bora-Team mit Nils Politt, Lennard Kämna und dem amtierende Deutschen Straßenmeister Maximilian Schachman, dazu schnelle Leute wie Max Walscheid (Cofidis), Jonas Rutsch (Education First) oder Nikias Arndt (DSM). Sämtliche Konkurrenten haben wie Steimle auch fürs 173 Kilometer lange Straßenrennen am Sonntag gemeldet. Steimles Fokus liegt auf dem Kampf gegen die Uhr. Anders als im Jahr zuvor, als er in Stuttgart aus Rücksicht auf seine verletzte Schulter auf einen Zeitfahrstart verzichtet hatte. Was sich im Nachhinein, wie er sagt, als Fehler herausstellte. Im eher taktisch geprägten Straßenrennen war er als Einzelkämpfer chancenlos gegen die Übermacht von Bora. Im Zeitfahren gilt: Mann gegen Mann und alle gemeinsam gegen die Uhr. Steimle beschreibt es so: „Eine knappe Stunde pures Leiden.“
Der Trip ins Sauerland soll trotzdem zu einer Art Kurzurlaub werden. Mit Freunden und Familie hat er für die drei Tage in der Nähe ein Haus angemietet. Die Woche darauf geht es noch mal nach Hause, bevor direkt nach der Kirchheimer Radnacht das nächste Höhentrainingslager – diesmal in Livigno – ansteht.
Kirchheimer Starterfeld nimmt Formen an
Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern, doch Jürgen und Verena Wastl, die beiden Organisatoren von Cycling Friends Passione, die gemeinsam mit Jannik Steimle die Kirchheimer Radsportnacht am 2. Juli veranstalten, können ein attraktives Starterfeld vermelden.
Der Ausschreibung gefolgt sind bisher unter anderem die Racing Students aus Freiburg, das tschechische KT-Team von Dukla Prag oder auch Steimles früherer Arbeitgeber, das Team Vorarlberg. Jannik Steimle selbst wird ebenfalls am Start stehen, inklusive möglicher Überraschungsgäste.
Das Hauptrennen über 60 Runden oder 78 Kilometer beginnt um 19 Uhr. Bereits um 17 Uhr erwartet das Publikum ein Ausscheidungsrennen mit 16 Fahrern, ausgetragen als Parallel-Sprint über 200 Meter vom Alleenring durch die Fußgängerzone hinunter bis zum Start und Ziel am Marktplatz. Dazwischen findet um 18 Uhr ein Benefiz-Rennen für Kinder jeden Alters über zehn Runden zugunsten des Aktionsbündnisses „Starkes Kirchheim“ statt. bk