Sportwelt paradox: Am Tag als der deutsche Fußball ins Allzeit-Tief stürzt, schreiben die lange Zeit kaum beachteten Basketballer gegen Serbien Geschichte. Wunder, Wahnsinn, Weltmeister – so kurzatmig das Presse-Echo weltweit ausfiel, so unaufgeregt und nüchtern fallen speziell am Zweitliga-Sitz in Kirchheim die Reaktionen aus. Das Besondere daran: Deutschland und Serbien stehen hier von Anbeginn für eine erfolgversprechende Allianz. Von nationaler Zwietracht war deshalb auch nach einem der packendsten WM-Finals aller Zeiten nichts zu spüren. Wer in seiner Brust zwei Herzen schlagen hört, tut schließlich gut daran, die richtige Balance zu finden.
Kirchheims serbischer Headcoach Igor Perovic jedenfalls übte sich als Hellseher schon lange bevor das Turnier begann. Bereits vor Wochen hatte er die Deutschen zum Favoriten bei dieser WM erklärt, nachdem er zuvor in Hamburg die Testspiele gegen China und Kanada verfolgt hatte. Und dort hatte er „eine Mannschaft gesehen, die keine erkennbaren Schwächen hat.“ Perovics kühne Einschätzung, wonach sich die Deutschen bei diesem Turnier nur selber schlagen könnten, wurde von Umstehenden als maßlose Übertreibung und als Akt purer Höflichkeit bewertet. Am Ende war es ein Volltreffer.
Bestätigt fühlen durfte sich der 49-Jährige zunächst allerdings nur am Autoradio auf der Fahrt vom Wohnort Ulm nach Tübingen, wo seine Mannschaft am frühen Abend dem BBL-Aufsteiger in einem Testspiel mit 74:85 unterlag. Als Perovic zum Public Viewing die Paul-Horn-Arena betrat, standen im Finale noch zwei Minuten auf der Uhr und Serbien lag mit sieben Punkten zurück. „Deutschland hat in der Schlussphase besser verteidigt und verdient gewonnen. Wir haben ein tolles Basketballspiel gesehen, das ist das wichtigste“, meint Perovic, der jetzt fest damit rechnet, dass dieser Titel den Basketballsport in Deutschland beflügeln wird. „Weil in dieser Mannschaft auch charakterlich jeder zum Vorbild taugt“.
„Warum Wahnsinn?“ Das fragt sich auch Frenki Ignjatovic, sechs Jahre lang Headcoach in Kirchheim und im zweiten Jahr in Gießen als Trainer. „Man muss an die eigenen Fähigkeiten auch glauben“, sagt er. „In dieser Mannschaft steckt unfassbar viel Qualität. Deshalb ist das für mich keine Überraschung“. Dass die Serben personell geschwächt ins Turnier starten mussten und im Finale mit Ognjen Dobric ein weiterer Schlüsselspieler bereits nach zwei Minuten verletzt ausschied, war für Ignjatovic mit entscheidend. Anders als sein Freund Igor Perovic konnte er das Spiel zuhause vor dem Fernseher verfolgen und dabei miterleben, wie sein früherer Zögling, den er seit Wochen wieder trainiert, als Studiogast im ZDF Rede und Antwort stand: Robin Benzing, der unter Ignjatovic beim TV Langen seine Karriere begann, stand vorige Woche noch beim Testspiel in Kirchheim in der Halle und dürfte am Sonntag allenfalls bedauert haben, dass seine Laufbahn nach 167 Länderspielen zu früh für diesen Titel geendet hat.
Weiter warten auf den ersten großen Titel für sein Heimatland muss auch Stanislav Bozic. Auch beim Gesellschafter und Namenssponsor der Knights, der das Finale daheim mit der ganzen Familie am Fernseher erlebte, hält sich die Enttäuschung in Grenzen. „Serbien war nicht komplett und Deutschland ist ein eingespieltes Team“, sagt er. „Für mich war von Anfang an klar, wer hier der Favorit ist“. Seine Glücksmomente hatte der Tennis-Fan an diesem Wochenende trotzdem: dank Novak Djokovic, der im Finale der US Open in der Nacht seinen 24. Grand-Slam-Erfolg feierte.
Weit emotionaler und mit Freunden hat Knights-Teammanager Chris Schmidt das Finale am Fernseher verfolgt. „Wir sind vor kurzem erst umgezogen,“ sagt er. „Seit diesem Sonntag wissen unsere neuen Nachbarn definitiv, dass wir Basketball-Fans sind“, meint Schmidt und lacht. Schon das Halbfinale gegen die USA war für ihn „offensiv das Beste, was ich im Basketball bisher gesehen habe.“ Das Finale schließlich hätte aus seiner Sicht einen Platz in jedem Lehrbuch verdient. „Will man die Faszination dieses Sports mit allen seinen Auf und Abs erklären“, sagt er. „Dann ist dieses Spiel exemplarisch“.
Nicht so recht dran geglaubt, hat Thimo König. Anders ist nicht zu erklären, dass der Abteilungsleiter der VfL-Basketballer mit den Testspielen gegen Basel und Bayreuth seinen Jungs im JBBL-Team an diesem Sonntag gleich zwei Pflichttermine aufs Auge gedrückt hat. Folglich musste er die Sache auch ausbaden: Anspielzeiten verlegt, Fernseher in die Halle geschleppt, Public Viewing organisiert. Am Ende floss das Adrenalin in Strömen: „Garantierte Spannung bis zum Schluss – das ist genau, warum wir diese Sportart so lieben,“ sagt König. „Es gibt nichts Größeres als die Crunchtime im Basketball“.