Lokalsport
Rollstuhlfechten: Von der Krim zum Happy End in Esslingen

Parasport Der ukrainische Rollstuhlfechter Serhii Shavkun sichert sich zwei deutsche Meistertitel. Von Stefanie Gauch-Dörre

Esslingen. Die Geschichte von Serhii Shavkun klingt wie das Drehbuch eines Spielfilms mit Happy End: Verkehrsunfall, Neuanfang, Weltmeister im Rollstuhlfechten, Flucht, erneute Flucht, wieder Weltmeister und dann der Start bei seinen ersten deutschen Meisterschaften. Diese haben bei seinem derzeitigen Verein SV 1845 Esslingen stattgefunden. Shavkun lacht viel und sein Lachen ist ansteckend.

Das Leben des Ukrainers nahm 2006 eine harte Wendung. Der Familienvater überlebte einen schweren Verkehrsunfall zwar, aber er war gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Die Zeit der Rehabilitation begann. Dabei kam der erste Kontakt mit dem Rollstuhlfechten zustande. Eine Therapeutin brachte Shavkun 2008 den Sport nahe und der ehemalige Polizist bei einer ukrainischen Spezialeinheit hatte nicht nur Talent, sondern auch Spaß daran. „Der Wille, unbedingt gewinnen zu wollen, bewegte mich weiter“, erklärt er. Mentale Stärke bringen den 51-Jährigen immer wieder voran. Sein ebenfalls aus der Ukraine stammenden Trainer Ilja Kutsyi fungiert als Dolmetscher und betont, dass eine erstklassige Technik eben nicht ausreiche. „Oftmals scheitern talentierte Athleten an ihrer mentalen Schwäche.“ Dieses Problem hat Shavkun nicht.

Er startet in der Kategorie C, der Klasse mit dem schwersten Behinderungsgrad, im Florett und im Degen. 2014 wurde er vom ukrainischen Nationalteam erstmals nominiert und gewann seither bei den alle zwei Jahre stattfindenden Weltmeisterschaften vier Mal die Goldmedaille. Zudem holte er drei EM-Titel. Auch im vergangenen Jahr in Warschau sicherte sich Shavkun EM-Gold mit dem Degen und Silber mit dem Florett. Nun stehen im Oktober die nächste Weltmeisterschaften an.

2014 war nicht nur das Jahr der ersten Nominierung im Nationalteam für den Familienvater. Er musste auch seine Heimat, die Krim, verlassen, als diese von Russland annektiert wurde. Er entschied sich für die Flucht nach Mariupol. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs dann die nächste Flucht an. Nachdem er mit seiner Familie tagelang im Keller Schutz gesucht hatte, nutzte er eine 20-minütige Waffenruhe für den Aufbruch.

Mit seinem rollstuhlgerechten Auto fuhr er mit seiner Frau und den beiden Töchtern (heute 20 und zwei Jahre) Richtung Deutschland. Zunächst blieb die Familie in Hersching am Ammersee. Dort gab es allerdings keinen Fechtverein und München war zu weit entfernt. So konnte Shavkun ein dreiviertel Jahr nicht trainieren. Über den Nationaltrainer Alexander Bondar und die ukrainische Rollstuhlfechterin Olga Yesina, die zu der Zeit in Esslingen lebte, erfuhren die Trainer der SV 1845 von Shavkuns. „Wir haben uns gedacht, dass das nicht sein kann. Ein Weltmeister ohne Trainingsmöglichkeit“, erinnert sich Kutsyi.Der Umzug nach Esslingen wurde angestoßen. Seit Anfang des Jahres lebt die Familie nun unweit des Sportparks Weil. So gehörte Shavkun zum Zeitpunkt der deutschen Meisterschaften seit mehr als drei Monaten der SV 1845 an und war damit startberechtigt. Als Favorit ging der Ukrainer an den Start und ließ keinen Zweifel daran, dass er zu den Besten gehört. Mit dem Florett sicherte er sich ebenso den Titel wie mit dem Degen .

Ein Start bei den Paralympics war bisher nicht möglich. Die Klassifizierung C ist für olympische Wettkämpfe nicht zugelassen, nur A und B. Aber es wäre ein Traum für Shavkun – ob sich in diese Richtung etwas ändert, sei aber derzeit nicht absehbar. Shavkun fehlt die nötige Rumpf- und Bauchmuskulatur für eine Einstufung in die B-Klasse.

Die Aufregung vor seinen ersten deutschen Meisterschaften hielt sich in Grenzen. „Die kommt erst in den Final-Gefechten“, erklärt Shavkun lachend. Während des Gesprächs wird Shavkun dann plötzlich ernst „Jetzt muss er sich aufwärmen“, erklärt sein Trainer. Und dann lacht der Rollstuhlfechter wieder, verabschiedet sich und macht sich bereit für den nächsten Titel.