Die 3:4-Niederlage beim „Jahrhundertspiel“ in Heidenheim am 30. Mai 1976 vor 6 000 Zuschauern tat den VfL-Spielern in der Seele weh
Schweißgebadet ins Meer der Tränen

Vor 37 Jahren kam es in der 2. Amateurliga Württemberg zu einem regionalhistorischen Highlight: Die Star-Truppe von Spitzenreiter Heidenheimer SB erwartete am letzten Spieltag 1975/76 in der 2. Amateurliga den Tabellenzweiten VfL Kirchheim – der Sieger der Partie war Meister und stieg in die 1.  ­Amateurliga auf.

6 000 Schlachtenbummler, darunter geschätzt ein Viertel aus Kirchheim, pilgerten seinerzeit ins Heidenheimer Alb-Stadion, wo die Emotionen in einem nervenzerfetzenden Schlagabtausch überkochten. Zwei Mal ging die VfL-Truppe von Trainer Dieter Wagner in Führung – am Ende hatte sie unglücklich 3:4 verloren. Die Kirchheimer waren verzweifelt und weinten.

Der 30. Mai 1976 war ein Sonntag, der seinem Namen alle Ehre machte: strahlender Sonnenschein, azurblauer Himmel, kein Lüftchen, heiße 30  Grad Lufttemperatur. Die 6 000 Fans, die ins Heidenheimer Alb-Stadion gepilgert waren, schwitzten schon beim Zusehen. Die Sonne brannte gnadenlos, und die Spielertrikots waren schnell durchgeschwitzt. Nach 90 bewegten Spielminuten gab es in der Hitzeschlacht auf der Ostalb schließlich einen tragischen Helden: die Mannschaft des VfL Kirchheim, die zwar bravourös gekämpft und die 1:0-Führung durch Torjäger Rolf Kirschmann sowie die 2:1-Führung (Jürgen Vetter) erzielt hatte, am Ende aber mit 3:4 verlor und alles verspielte. „Auf dem Weg zur Kabine habe ich geheult“, erinnert sich Mittelfeldspieler Hans-Martin Kleitsch an den Schock, als die Partie vorbei war. Genau wie der später verstorbene Abteilungsleiter Hans Werner war Kleitsch nach Spielschluss tief gefrustet – und der Frust nagte noch lange. Nach der Friedhofsstille bei der Busrückfahrt wurde in der Stadiongaststätte reichlich gebechert – die halbe Mannschaft trank, um das Desaster zu vergessen. Das 3:4 beim großen Ligarivalen tat allen VfL-Beteiligten in der Seele weh.

Dabei war der Tisch für einen VfL-Aufstiegscoup schon gedeckt gewesen. Um der Mannschaft die beste Spielvorbereitung zu garantieren, hatte die VfL-Abteilungsleitung im nahe Heidenheim gelegenen Dischinger Schloss Taxis für den Vortag ein Dutzend Doppelzimmer angemietet – zum 20 Kilometer entfernt stattfindenden Sonntags-Spiel fuhr man nach dem Mittag­essen ohne jeden Zeitdruck. Überhaupt kam das exklusive Trainingslager im fürstlichen Ambiente mit Spaziergängen, Waldlauf, Smalltalks und ganz ohne Übungskicks bei der jungen VfL-Mannschaft glänzend an. „Diese Art der Vorbereitung war neu für uns, es war unser erstes Trainingslager dieser Art überhaupt. In der 2. Amateurliga war so etwas absolut unüblich“, erinnert sich Werner Hund, der damals Torwart, einziger VfL-WFV-Auswahlspieler und mit 29 einer der wenigen Routiniers im Team war.

Heute ist Hund 66 und bekommt, wenn er 36 Jahre zurückblendet, nochmals glänzende Augen. Mit viel Talent und noch mehr Ehrgeiz hatte sich das VfL-Eigengewächs seinerzeit zu einem der besten württembergischen Amateurtorhüter gemausert – und in Heidenheim war ihm mit vielen sehenswerten Paraden ein fußballerisches Glanzstück geglückt. Tage nach der Partie klingelte bei Kirchheims Nummer eins daheim das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: Heidenheims Erfolgstrainer Fritz Millinger, der Hund seit Monaten schon hinterherjagte und eine 20 000-Mark-Vertragsofferte mit eindringlichen Worten erneuerte. Hund, bodenständig wie kein Zweiter, lehnte das lukrative Angebot ab und verließ „seinen“ VfL erst drei Jahre später.

In der Stunde der Niederlage hatte Hund in Heidenheim noch punkten können – trotz des Titelaus‘ avancierte er gewissermaßen zum Lucky Looser. Andere VfL-Kicker hatten im „Jahrhundertspiel“, das seit Wochen Kirchheimer Sportthema Nummer eins war, nichts bis wenig ausrichten können. Libero Günter Hitzelberger, das unbestrittene Rückgrat der Mannschaft, hatte ein Bluterguss am Knie zur kurzfristigen Absage gezwungen, und Mittelfeldackerer Peter Kuch durfte aufgrund einer Bauchmuskelzerrung nur in den zweiten 45  Spielminuten ran. Auf eine noch kürzere Einsatzzeit kam der ehrgeizige Mittelfeldregisseur Wolfgang Jakobus, der beim alles entscheidenden Saison-Showdown die dickste(n) Kröte(n) zu schlucken hatte: Am Samstag hatte er das Trainingslager im Schloss absagen müssen, weil er in Kirchheim arbeiten musste, am Sonntagnachmittag kam er verspätet in Heidenheim an. Schuld an Letzterem war Stadionwirt Santo Visali, der bei seinem Chauffeursdienst für Jakobus mit seinem schweren US-Straßenkreuzer unterwegs einen ungewollten Ausritt in den Acker unternommen hatte – erst herbeigerufene Helfer konnten die beiden VfL-Prota­gonisten aus ihrer misslichen Lage befreien. Der Unfall kostete den eigentlich „gesetzten“ Jakobus im Alb-Stadion einen Einsatz von Anfang an. Er kam in Spielminute 62 als allerletzter VfL-Hoffnungsträger: Soeben hatte Hansi Kleitsch per Handelfmeter das 3:4-Anschlusstor hergestellt.

Mehr war für die „Blauen“ an diesem Sonntag allerdings nicht drin, weil sich die Heidenheimer um den Ex-Kirchheimer Hans „Hagoz“ Hägele in der Schlussphase als zu abgebrüht entpuppten. „Was soll ich sagen? Wir haben optimal gespielt und trotzdem verloren“, kommentierte Trainer Wagner hinterher etwas ratlos. Es war sein letztes VfL-Spiel. Wagner wechselte nach Schorndorf und war nicht der einzige Abgänger: Torjäger Rolf Kirschmann, damals 28 und nach viereinhalb VfL-Jahren und 109 Toren in der Blütezeit seiner Laufbahn, wechselte zum höherklassigen SV Göppingen.

Was bleibt an Erinnerungen an das große Spiel für den Lenninger? „Enttäuschung über die Niederlage, klar, aber auch Freude, dass wir ein prima Spiel damals gezeigt und so viele VfL-Fans für dieses Spiel mobilisiert haben“, antwortet Kirschmann auf die Frage. Tatsächlich war es die größte VfL-Auswärtskulisse aller Zeiten, die in Heidenheim zu sehen war.