Nachgefragt
„Soziale Effekte sind in Sportvereinen größer“

Professor Dr. Pamela Wicker sieht den Boom in Sachen Senioren-Fitness erst am Anfang.

Pamela Wicker ist Sportprofessorin und beschäftigt sich mit sportlichen Großereignissen und deren Nachhaltigkeit. Foto: pr

Kirchheim. Rund eine Million Menschen ab 60 Jahren in Deutschland sind Mitglied in einem Fitnessstudio – ein Trend, der weitergehen dürfte, wie Pamela Wicker, Professorin für Sportmanagement und Sportsoziologie an der Uni Bielefeld, verrät.

 

Wie bewerten Sie die zunehmende Zahl älterer Menschen, die Mitglied in Fitnessstudios sind?

Pamela Wicker: Zunächst einmal ist es erfreulich, dass nicht nur die typische Zielgruppe Mitglied in Fitnessstudios ist, sondern auch ältere Menschen. Das spricht auch dafür, dass entsprechende Angebote vorgehalten werden, die für diese ältere Zielgruppe attraktiv sind. Im Zuge des demografischen Wandels wird die Bevölkerung ja nicht nur weniger und internationaler, sondern eben im Durchschnitt auch älter. Folglich müssen Sportanbieter ihre Angebote fortwährend auch an potenzielle große Kundengruppen anpassen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Angebote im Seniorenbereich, sondern auch im Hinblick auf Angebote für Menschen mit Behinderung. Diese Bevölkerungsgruppe wächst auch im Zuge des demografischen Wandels, da bei älteren Menschen auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Behinderung steigt. Unsere Studien zeigen, dass diese Zielgruppe von den Fitnessstudios bislang kaum als potenzielle Kundengruppe erachtet wird.

 

Welche besonderen Vorteile hat das Fitnesstraining für Menschen ab 60 Jahren im Vergleich zu Jüngeren?

Wicker: Mit steigendem Alter nehmen verschiedene körperliche Fähigkeiten wie zum Beispiel die Kraft ab. Daher ist es wichtig, dieser Entwicklung aktiv entgegenzusteuern, wie durch regelmäßiges Fitnesstraining. Dies muss aber nicht zwingend in einem Fitnessstudio erfolgen.

 

Welche gesundheitlichen Risiken sind mit Fitnessstudiobesuchen für ältere Menschen verbunden?

Wenn bisher nicht trainiert wurde, ist darauf zu achten, dass der Einstieg langsam und mit Bedacht erfolgt, um Verletzungen oder Überlastungen durch plötzliche Trainingsreize zu vermeiden. Deshalb sollten Trainingspläne individuell auf die Leistungsmöglichkeiten und Trainingsziele einer Person zugeschnitten sein und das Training auch betreut werden.

 

Wie gut sind Fitnessstudios in Deutschland auf Betreuung und Beratung älterer Mitglieder vorbereitet?

Insgesamt betrachtet bedienen Fitnessstudios zunächst einen Massenmarkt in Sachen Fitness. Das heißt, es wird versucht, mit einem allgemeinen Fitnessangebot eine möglichst große Bevölkerungsgruppe anzusprechen, welche mehr oder weniger nach Ausstellung eines Trainingsplans in Eigenregie trainiert. Individuelle Trainingsbetreuung geht mit einem höheren Personalaufwand und -bedarf und damit auch mit höheren Kosten einher. Aufgrund des demografischen Wandels haben aber viele Fitnessstudios bereits Angebote für ältere Menschen entwickelt, wie die Mitgliedschaftszahlen untermauern.

 

Welche Rolle spielt die soziale Komponente von Fitnessstudios für ältere Menschen, und wie beeinflusst das ihre Motivation und Gesundheit?

Da mit dem Älterwerden auch die Einsamkeit steigen kann, insbesondere nach der Corona-Pandemie, bietet der Sport generell eine gute Plattform, Menschen zu treffen, sich auszutauschen und soziale Kontakte zu knüpfen. Wissenschaftliche Studien zeigen allerdings, dass die sozialen Effekte in Sportvereinen größer sind als in Fitnessstudios. Nichtsdestotrotz können Fitnessstudios hier auch durch entsprechende Angebote für mehrere Personen punkten sowie mit zugewandtem und kommunikativem Personal.

 

Was sind typische Einstiegshürden für Menschen über 60, die ein Fitnessstudio besuchen möchten?

Eine Einstiegshürde dürfte das vorherrschende Körperbild in Fitnessstudios sein, nach dem dort junge, sportliche, gestählte und makellose Körper trainieren und zur Schau gestellt werden. Diese Hürden könnten durch entsprechendes Marketing und auch durch getrennte Bereiche im Studio je nach Trainingsziel abgebaut werden. Je mehr sich die Klientel durchmischt und auch weniger „sportlich perfekte“ Körper zu sehen sind, desto geringer dürften die Hürden für jeden einzelnen empfunden werden. Auch eine inklusive und Diversität schätzende Organisationskultur dürfte dazu beitragen.

 

Wie könnte die Fitnessbranche noch besser auf die steigende Nachfrage von Senioren eingehen, und welche Entwicklungen sind in den nächsten Jahren zu erwarten?

Im Zuge des demografischen Wandels, bei dem die herkömmliche Kernzielgruppe von Fitnessstudios schrumpft, wird sich die Branche zwangsweise mit anderen Nachfragegruppen wie älteren Menschen auseinandersetzen müssen. In diesem Zusammenhang ist auch damit zu rechnen, dass Menschen mit Behinderungen stärker als solche wahrgenommen werden. Hilfreich wären auch gesundheitspolitische Entwicklungen, die dem präventiven Sport eine größere Bedeutung zuschreiben, wie Training auf Rezept. 

 

Zur Person: Pamela Wicker ist Professorin für Sportmanagement und Sportsoziologie an der Universität Bielefeld. Die gebürtige Nürtingerin, die in Notzingen aufwuchs und ihr Abi­tur in Kirchheim machte, promovierte und habilitierte sich an der Deutschen Sporthochschule Köln, bevor sie eine Professur an der Uni­versität Bielefeld erhielt.