Lokalsport
Thomas Brdaric in Indien: Wandervogel zieht positives Fazit

Fußball Der ehemalige VfL-Stürmer ­beendet seine erste Saison als ­Trainer des indischen Klubs Chennaijin FC auf dem achten Platz. Von Klaus Schlütter

In Neuffen sehnt sich eine hochbetagte Mutter danach, ihren einzigen Sohn nach über einem Jahr wieder einmal in die Arme zu schließen. Die 86-Jährige wird auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Denn ihr Thomas ist weit, weit weg. Er lebt seit neun Monaten in der Millionenstadt Chennai in Indien und hat dort einen Vertrag zu erfüllen – als Cheftrainer des Fußballklubs Chennaijin FC in der Hero Indian Super League.

Thomas Brdaric (48) liebt das Abenteuer. Der einstige Torjäger des VfL Kirchheim ist ein Wanderer in den Fußballwelten. Bevor es ihn nach Indien zog, missionierte er zwei Jahre deutschen Fußball in Albanien – und das sehr erfolgreich: Mit dem Provinzklub KF Vllaznia Shkoder wurde er als Trainer 2021 auf Anhieb Pokalsieger und Vizemeister.

„Eine Mega-Herausforderung“

Seit seinem Amtsantritt in der indischen Millionenstadt Chennai am 14. Juni 2022 versucht er in einem Land, „wo Altstars 1,3 Milliarden Ahnungslose bespaßen“, wie die „Welt“ einmal schrieb, neue Begeisterung für den Fußballsport zu entfachen. „Wenn ich so etwas mache, dann nur aus vollster Überzeugung und mit dem Ziel, etwas Langfristiges und Nachhaltiges aufzubauen. Das ist eine Mega-Herausforderung“, weiß der Ex-Nationalspieler und 240-fache Bundesliga-Profi.

Während er in Albanien noch mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hatte, teilweise Material, Trikots und Ähnliches selber organisieren musste, sind die Inder im strukturellen Bereich schon deutlich weiter.

Cricket schlägt Fußball

Die sportliche Qualität ist laut Brdaric „zwischen zweiter und dritter Liga bei uns“ einzuordnen. Die Rahmenbedingungen befinden sich annähernd auf dem Niveau großer europäischer Ligen. Das Jawaharlai Nehru Stadion fasst 40 000 Zuschauer, doch höchst selten kommen mehr als 10 000 zu den Ligaspielen. Deutlich weniger als zum Nationalsport Cricket, der unangefochtene Besuchermagnet Nummer eins. Doni Singh, der Kapitän der indischen Cricket-Nationalmannschaft, ist einer von drei Besitzern des Fußballklubs.

Laut Statut darf der 35-köpfige Spielerkader des Chennaijin FC nur sechs Legionäre enthalten, von denen maximal vier pro Spiel mitwirken dürfen. Chennais ausländische Stars sind die beiden Stürmer Petar Sliskovic (acht Tore, zuletzt SV Wehen-Wiesbaden), Nasser El Khayati (neun Tore, Marokko) sowie Mittelfeld-Akteur Julius Düker (Eintracht Braunschweig, TSV Havelse), den Brdaric noch kurz vor Transferschluss geholt hat.

Die Play-offs knapp verpasst

Alle drei spielten eine maßgebliche Rolle in der soeben beendeten Super-League-Saison. Unter Brdaric kam der Chennaijin FC in der Elfer-Liga auf sieben Siege, sechs Unentschieden und sieben Niederlagen. Fast hätte es nach einem fulminanten Endspurt sogar noch in die Liga-Play-offs der bes­ten sechs Mannschaften ge­reicht. Doch drei Siege in Folge mit einem finalen 4:3 in der Nachspielzeit gegen NorthEast United FC waren bei 27 Punkten drei zu wenig für den Tabellenachten. Aber auch so kann Thomas Brdaric ein positives Fazit seiner ersten Saison im Fußball-Abenteuerland Indien ziehen. „Die Aufgabe bringt mich nicht nur als Trainer, sondern auch als Mensch absolut weiter. Die Aufgabe füllt mich komplett aus. Ich lerne jeden Tag dazu.“

Doch jetzt ist erst mal Pause. Zeit und Gelegenheit, den Herzenswunsch der Mutter in der schwäbischen Heimat zu erfüllen.

Von der Jesinger Allee in die weite Fußball-Welt

Geboren wurde Thomas Brdaric in Nürtingen, aufgewachsen ist er in Neuffen. Der 48-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder.
In der Saison 1992/93 stürmte er für den VfL Kirchheim in der Ober­liga. Danach absolvierte er 204 Bundesliga-Spiele, 54 Tore, unter anderem für den VfB Stuttgart, Fortuna Düsseldorf, Bayer Lever­kusen, Hannover 96 und den VfL Wolfsburg. Mit Bayer wurde er zwei Mal Vizemeister und erreichte 2002 das Champions-League-Finale gegen Real Madrid, das Bayer jedoch verlor.
Brdaric bestritt für den DFB acht A-Länderspiele (ein Tor), zwölf für die deutsche U 21 und sechs für die DFB-B-Elf. 2004 nahm er an der EM in Portugal teil.
Seit 2009 ist Brdaric, der ein Ausflugslokal am Niederrhein besitzt, Trainer. Bisher war er bei zwölf Vereinen tätig, zuletzt bei Vllaznia Shkoder in Albanien, wo er Pokalsieger und Vizemeister wurde. ks