Kirchheim. Grund für die radikale Änderung, die seit 2011 geplant war: Die Herstellung der alten Spielgeräte ist zu 80 Prozent identisch mit der Produktion von Nitroglycerin – also hochgefährlich. Der Logistikdienstleister DHL befördert keine Tischtennisbälle, weil dieser „Sprengstoff“ zu den Gefahrgütern zählt. In Flugzeugen dürfen die extrem leicht entflammbaren Bälle auch nicht transportiert werden. In vielen Ländern ist Zelluloid seit Jahren untersagt. 2001 explodierte in Hongkong ein Container mit einer halben Million Bälle. In den vergangenen Jahren flogen Produktionsstätten in China in die Luft. Daraufhin reagierte der internationale Verband (ITTF).
Der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) mit seinen 600 000 Mitgliedern in 10 000 Vereinen empfiehlt den ersten fünf Ligen zur neuen Saison den neuen Ball. Aber Vorschrift ist dies (noch) nicht. Zumindest der TTC matec Frickenhausen und die anderen Bundesligaklubs werden ihn nutzen. Die Spitzenspieler befürchten jedoch, dass die Plastikkugel die Statik des Spiels verändern und nicht so viel Rotation aufnehmen könnte. Timo Boll, das Aushängeschild in Deutschland, spricht sogar von einer „Farce“. Zumal die Entwicklung noch nicht ausgereift ist und noch keine befriedigenden Testphasen stattfanden.
Experten beteuern allerdings, dass „normale“ Spieler keine Abweichung merken. Nur der Klang des Balles sei anders. Dies bestätigt Thomas Schorradt. Der Abteilungsleiter der TG Nürtingen, ein Bruder des Kirchheimer VfL-Tischtennis-Chefs Axel Schorradt, hat den neuen Ball vor Kurzem getestet. Sein Eindruck: „Kein Problem, kein Unterschied. Ich habe nur den Eindruck, dass er ein klein bisschen langsamer ist.“ Sein Verein wird auch in der neuen Saison mit den alten Bällen schmettern, die weltweit seit 1897 in Gebrauch sind. Er sieht keinen Grund, die neuen Dinger jetzt anzuschaffen, schließlich sei das auch ein Kostenfaktor.
Früher, so erzählt Schorradt, habe er mit seinen Mitspielern die kaputten Zelluloidkugeln immer abgefackelt. Der Spaß wäre groß gewesen, wenn sie sich schlagartig entzündet hätten und ein Riesenfeuer entstanden sei. Beim Bezirkstag in Musberg und bei der Verbandsausschuss-Sitzung in Notzingen war das Thema „Neue Bälle“ in aller Munde. „Was kommt auf uns zu?“, wollten die Vereinsvertreter wissen. Antworten darauf versuchte Torsten Küneth, deutscher Vertreter im ITTF-Materialkomitee, zu geben. Befürchtungen wurden geäußert, dass die neuen Spielgeräte zu teuer sind. Doch dem widersprach Alexander Beck. „Ich denke, dass sie sogar günstiger werden. Künftig fallen nämlich die hohen Gebühren für Gefahrgut weg“, meint der Bezirks-Vorsitzende.
Auch sein Verein, der SV Hardt, und der Großteil der Klubs im Nürtinger Raum, werden laut seiner Aussage weiterhin mit Zelluloid aktiv sein. Gezwungenermaßen, denn die Plastikbälle sind noch nicht ausreichend lieferbar. Bei der Produktion des hochwertigen Materials und der richtigen Mixtur gab es immer wieder Verzögerungen. Ferner bestimmen weltweit lediglich fünf Hersteller den Markt: drei kommen aus China, einer aus Japan und dazu die Weener GmbH.
Die Plastikfirma aus Norddeutschland hat die Lizenz erst Ende Mai erhalten und mit der Fabrikation noch gar nicht begonnen. Sie ist übrigens das einzige Unternehmen, das die nur in Weiß zur Verfügung stehenden Bälle ohne Naht produziert. Die Vereine müssen vor Saisonbeginn melden, mit welchem Ball sie spielen wollen. Ein Wechsel während der Runde ist kein Problem. Der Tischtennis-Verband Württemberg-Hohenzollern empfiehlt den Klubs die Plastikkugel, die auch bei den Ranglistenturnieren zum Einsatz kommen wird.