Es gibt Sportarten, da hat man mit 38 Jahren das Beste noch vor sich. Handball zählt nicht dazu. Da bedarf es schon außergewöhnlicher Qualitäten oder besonderer Umstände, um als Enddreißiger einen Mehrwert zu bieten. Dominik Merkle, seit Sommer verantwortlicher Trainer beim VfL Kirchheim, ist keiner, der sich für unverzichtbar hält. Zwar zog er als Mittelmann jahrelang die Fäden im Spiel des VfL, doch irgendwann muss auch mal gut sein.
Gut ist im Moment wenig bei den Weiß-Blauen. Deshalb stand der Senior am Sonntag erstmals wieder auf dem Spielfeld. Um dem einen oder anderen ein paar Minuten Verschnaufpause zu gönnen, wie er betont. Glück hat er seiner Mannschaft nicht gebracht, auch wenn das nicht unbedingt seine Schuld war. Seit jener 27:32-Heimniederlage gegen das bis dahin punktlose Tabellen-Kellerkind aus Alfdorf und Lorch schrillen die Alarmsirenen hinter den Mauern der Walter-Jacob-Halle noch lauter als ohnehin schon. Auch, weil mit Nachwuchskraft Paul Rauner, der an diesem frühen Abend mit einem Kreuzbandriss vom Spielfeld humpelte, sich auf unabsehbare Zeit die nächste Lücke auftut.
Der VfL steckt in der Krise. Eine stark verjüngte und ausgedünnte Mannschaft muss im Moment fast ohne Reserven auskommen. Ein Umstand, der sich immer häufiger rächt. „Unsere größte Schwäche ist die Auswechselbank“, stellt Kapitän Robin Habermeier frustriert fest. Als Eckpfeiler im Rückraum hat er selbst die ersten drei Saisonspiele verpasst. „Wir können eigentlich jedem Gegner Paroli bieten“, sagt er. „Doch hinten raus fehlen uns zu oft die Körner.“
Der Heimnimbus hat Risse
Dabei galt die Walter-Jacob-Halle lange Zeit als uneinnehmbare Bastion. Seit dem Aufstieg in die Verbandsliga hat dieser Nimbus stark gelitten. Jetzt drängt sich schon mal die Frage auf, welche zwei – besser drei – Mannschaften man am Ende hinter sich lassen will, um die Klasse zu halten. „Dass diese Saison schwer werden würde, wussten wir“, sagt Trainer Dominik Merkle. „Noch mache ich mir keine allzu großen Sorgen.“ Im Moment ist der VfL Neunter. Direkt dahinter liegen mit dem Team Esslingen und der „Zweiten“ aus Lauterstein allerdings zwei Mannschaften nach Pluspunkten gleichauf. Lediglich der TSV Alfdorf/Lorch und Rot-Weiß Laupheim stehen im Moment leicht abgeschlagen hinten drin. Beide Mannschaften sind ebenfalls verletzungsgeplagt. Ein Indiz für generelle Schwäche lässt sich aus Kirchheimer Sicht daraus jedenfalls nicht ableiten.
Viel eher: In der Rückrunde werden die Karten demnach wohl neu gemischt. Dann dürfte beim VfL Fabian Weber nach einer Knie-OP zurück sein, Patrick Lippkau seine Fußverletzung überstanden haben und wohl auch Martin Rudolph wieder bei Kräften sein. Der neue Abteilungschef und wuchtige Werfer fehlt im linken Rückraum seit zwei Spielen wegen einer Corona-Erkrankung.
Bis dahin heißt es, Ruhe bewahren und möglichst viele der zahlreichen Fehler, die sich der VfL zurzeit im Angriff leistet, abzustellen. „Wir laden durch diese Ballverluste jeden Gegner zu einfachen Toren ein“, sagt Dominik Merkle. Mal fehlt die Kaltschnäuzigkeit beim Abschluss, mal stimmen die Laufwege im Zentrum nicht. Dabei macht der junge Sammy Gotthardy, dem zu Saisonbeginn ziemlich unvermittelt die Rolle des Spielgestalters zufiel, seine Sache bisher gut. Das gilt auch für Leo Real, der lange pausierte, häufig am Kreis zum Einsatz kam und jetzt mit zwölf Toren in den vergangenen beiden Spielen eine der vielen Lücken im Rückraum schließt.
Am Sonntag wartet der Tabellenführer aus Reichenbach, und jeder, der einen klaren Blick hat, weiß, dass es hier mehr um Gesichtswahrung als um Zählbares gehen wird. Das Duell in der Brühlhalle (17 Uhr) ist jedenfalls kein Spiel wie jedes andere. Seit Jahren sind die Vergleiche der beiden Lokalkontrahenten heiß umkämpft. Es geht gegen den Verein, mit dem der VfL vor Jahren eine auf Verbandsebene erfolgreiche Jugend-Allianz schmiedete. Robin Habermeier trug damals das Trikot der JSG. Dass er mit seinen Kollegen diesmal als klarer Außenseiter anreist, meint der Kapitän, sei „schade, aber nicht aussichtlos“. Sein Trainer pflichtet ihm bei. Dominik Merkle bleibt Optimist und sorgt dafür, dass auch bei ihm im Training weiterhin der Schweiß fließt. Es gilt, fit zu sein für alle Fälle. Oder auch nur für den einen, dass er als Ideengeber auf dem Spielfeld weiterhin gebraucht wird.
Gefahr von Linksaußen
Yannik Heetel ist beim nächsten VfL-Gegner TV Reichenbach der Spieler, auf den die Kirchheimer Abwehr ein besonders waches Auge richten dürfte. Dem Linksaußen des Verbandsliga-Tabellenführers gelangen in den bisher neun Begegnungen der laufenden Saison bereits 85 Treffer. Das macht im Schnitt 9,4 Tore pro Spiel. Heetel ist einer der Dauerbrenner beim Team aus dem Filstal. Der Blondschopf aus Neuhausen auf den Fildern wechselte nach dem Abstieg der Reichenbacher aus der Württembergliga vor fünf Jahren für zwei Spielzeiten zum Liga-Konkurrenten TSV Wolfschlugen, kehrte vor der Saison 2019/20 aber wieder zurück zum TVR in die Landesliga. bk