Rote Karte, Abseits, Foul, Tor oder Handspiel? Diese Frage beschäftigt an jedem Bundesligaspieltag nicht nur Millionen von Fußballfans, sondern auch die Videoschiedsrichter (VAR) im „Kölner Keller“. Einer von ihnen ist Pascal Müller, unlängst zu Gast bei seiner ehemaligen Hochschule. Vor mehr als zehn Jahren schloss der gebürtige Freudentaler an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen (HfWU) sein Studium des Finanzmanagements ab. Und ebenjenes Institut hatte den 34-Jährigen als Referenten zur zweiten Auflage ihres „Campus Conversation Clubs“ nach Nürtingen eingeladen.
Seine Schiedsrichterkarriere auf dem Spielfeld begann im Jahr 2002, bis 2019 pfiff Müller auch einige Spiele in der Zweiten Bundesliga. Seit Juli 2020 gehört er zum VAR-Spezialisten-Team des Deutschen Fußball-Bunds. Seit Mai 2022 ist er Uefa-VAR und seit diesem Januar auch Fifa-VAR. Müller hat seither rund 200 Spiele in der Ersten und Zweiten Bundesliga, rund 40 Partien für die Uefa, unter anderem in der Champions League und sogar in Saudi-Arabien begleitet. „Ich bin bei Spielen mit großen Vereinsnamen dabei, das ist eine Ehre für mich“, so Müller.
Die Besucher in Nürtingen bekamen einen Einblick in die beiden Räume im Kölner Video-Assist-Center, auch bekannt als Kölner Keller. Dort stehen elf Stationen, erläutert Müller. An jeder Station agieren vier Personen: Zwei Schiedsrichter und zwei Techniker verwerten die vielen Informationen; diese werden von rund 40 Kameras geliefert, die in einem Fußballstadion aufgestellt sind. „Der VAR überprüft die vier Fälle Tor, Strafstoß, Rote Karte und Spielerverwechslung“, umriss Pascal Müller die Aufgaben des Videoschiedsrichters.
Für einen Videoschiedsrichter seien vier Strategien wichtig, so Müller. Am wichtigsten ist ihm zufolge das „Agieren unter Stress“. Dazu spielte er ein Video aus einer Bundesligapartie ein, das er und sein VAR-Kollege mehrfach überprüften. Die Unparteiischen stellten ein Handspiel des Torhüters fest, knapp außerhalb des Strafraums, das im Nachhinein zur Roten Karte führte. „Bei solchen Entscheidungen stehen wir unter großem Stress und es ist wichtig, gelassen damit umzugehen“, so Müller. Die zweite Strategie ist die „Antizipation“. Hier sei es wichtig, dass man in den Spielsituationen regelsicher ist und bei den Spielszenen einen Schritt vorausdenken könne.
Bei der dritten Strategie – „Reaktionen erfassen und entscheiden“ – gelte es, die Körpersprache, Mimik und Gestik der Spieler deuten zu können. „Das ist auch außerhalb des Fußballs, sowohl im Privat- als auch im Geschäftsleben, ein wichtiges Erfolgsgeheimnis“, so Müller.
Und schließlich sei „Wir sind ein Team“ die vierte Komponente, die das VAR-Team stark mache. Gemeinsam würden knifflige Entscheidungen getroffen. In der vergangenen Bundesligasaison seien von 130 Eingriffen der Video-Schiedsrichter nur neun nicht richtig gewesen. Wie die Schiedsrichter auf dem Platz bekommen laut Müller auch die Videoschiedsrichter Noten: „Je nach Beurteilung gibt es mehr oder weniger Spiele.“
Abschließend antwortete Pascal Müller auf Fragen aus dem Publikum. Der Videobeweis sei nicht mehr wegzudenken, sagte er; aber auch, dass der Druck der Schiedsrichter in Teilen auf den VAR übertragen werde. Auf die Frage nach dem bisher größten Fehler des Videoschiedsrichters nannte Müller ein zu schnell falsch entschiedenes Handspiel: „Das Credo daraus lautet für mich: Sicherheit geht vor Schnelligkeit.“