Lokalsport
Vom Zocker zum Läufer

Ausdauersport Chris Rommel aus Unterlenningen ist passionierter Extrem-Läufer. Mit dem Sport hat der dreifache Vater seine Spielsucht überwunden. Von Sandra Langguth

Nachts um 4 Uhr wach zu sein, ist für Chris Rommel nichts Ungewöhnliches. Doch während der Unterlenninger früher um diese Uhrzeit noch auf war, schon die zweite Tüte Chips in sich reingestopft hat und beim Zocken am PC in virtuelle Welten abgetaucht ist, marschiert er heute mit Stirnlampe durch die Natur oder spult im Keller auf dem Laufband einfach mal so einen Marathon ab. „Ich stehe früh auf und laufe, bis die Kinder aufwachen“, erzählt der 34-Jährige lachend.

Einen Fuß vor den anderen zu setzen, ist an sich nichts Weltbewegendes. Aber für Chris Rommel hat das den kompletten Kosmos verändert. „Ich hab zwar immer ein bisschen Sport gemacht, war mal im Fußball, im Handball, im Kampfsport und im Motocross, bin aber nie dabeigeblieben“, erzählt Chris Rommel. Parallel kämpfte er stets gegen sein leichtes Übergewicht. „Dünn war ich nie, und mit den Kindern ist es immer ein bisschen mehr geworden. Diäten haben da auch nicht geholfen“, berichtet der dreifache Vater. Nach einem längeren Kanada-Aufenthalt 2009 fand er eine Weile Gefallen daran, sich im Fitnessstudio zu stählen, doch auch da verließ ihn irgendwann die Lust. Und als es für den zurückhaltenden Feinwerkmechaniker-Meister auch beruflich immer schwieriger wurde, erreichte er einen Tiefpunkt.

 

Ich weiß, wo ich herkomme, und möchte gerne anderen zeigen, was man aus sich machen kann.
Chris Rommel

Der zweite Weihnachtsfeiertag 2018 brachte im Nachhinein die Wende. „Der Patenonkel meines kleinen Sohnes war zu Besuch da und hat mich gefragt, ob ich mit ihm beim Megamarsch 50 Kilometer gehen würde. Ich dachte, der sei verrückt“, erinnert sich der 34-Jährige lachend. Am Ende meldeten sich die beiden noch am selben Abend schließlich sogar für die doppelte Distanz in München an. „Zu dem Zeitpunkt habe ich 100 Kilo gewogen und quasi sechs Jahre keinen Sport mehr gemacht.“

Einen ersten Eindruck seiner aktuellen Form verschaffte sich der Unterlenninger gleich am nächsten Tag. Nach 17,5 Kilo­metern mit 400 Höhenmetern über den Sattelbogen, das Hörnle und den Segelflugplatz zurück nach Hause, war er erst mal zwei Wochen außer Gefecht. „Ich hatte mördermäßig Muskelkater und habe erst mal zwei Wochen nichts gemacht.“ Dennoch war da irgendwo tief in ihm drin ein Funken entfacht. „Ich hab schon gemerkt, dass irgendwas anders ist im Vergleich zu sonst, wenn ich mir was vorgenommen habe.“

Bei Kraftsportler Albert Häußler in Brucken holte er sich ein paar Tipps für die Ernährung, strich fortan konsequent Zucker von seinem Speiseplan und notierte sich ganz genau, was er zu sich nahm. „Ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich die 100 Kilometer je schaffen würde, aber mir war klar, dass ich auf jeden Fall alles dafür tun wollte.“ Also wanderte er fortan zur Arbeit, und auf dem Heimweg nahm er meistens einen Umweg. Sonntags stand er um 3 Uhr auf, um zum Ausflugsziel der Familie an diesem Tag hinzuwandern. „Ich bin oft erst um 8 abends heimgekommen. Meine Frau hat das alles mitgemacht“, ist Chris Rommel dankbar für die Unterstützung. Und während das Laufen immer wichtiger im Leben des 34-Jährigen wurde, rückte das Zocken am PC Stück für Stück in den Hintergrund.

Als der große Tag des Megamarsches im Sommer 2019 schließlich vor der Tür stand, war Chris Rommel hochmotiviert. 60 Kilometer zu schaffen, war sein inneres Ziel. Nach 35 fing der Oberschenkel an zu schmerzen, bei Kilometer 55 ging es im Regen kaum mehr weiter, und die letzten zwölf Kilometer lief Chris Rommel in 50-Meter-Etappen mit Pausen zwischendrin. Am Ende erreichte er völlig erschöpft, aber mega stolz das Ziel. „Da hab ich mir gesagt: So was mach ich nie wieder.“ Da sein Kumpel den Lauf abbrechen musste, sollte er ihn beim Megamarsch in Stuttgart vier Monate später begleiten. „Ich habe einfach weitergemacht mit meinem Programm. Die Erfahrung von München hat mich komplett gedreht. Mit dem Zocken habe ich ganz aufgehört.“ Das Thema Sucht allerdings blieb, denn so wie er einst in World of Warcraft eine Zuflucht gesucht hat, so manisch war er teilweise dem Laufen verfallen. „Da habe ich es einfach übertrieben.“ Als dann auch noch die Probleme im Job immer unerträglicher wurden, musste er komplett die Reißleine ziehen. Als Kind Nummer drei auf die Welt kam, nahm er eine Auszeit. „Inzwischen habe ich gelernt, nicht mehr alles so verbissen zu sehen.“

Größte Stärke ist der Wille

Laufverrückt ist Chris Rommel aber immer noch. Inzwischen kommt er auf neun 100-Kilometer-Märsche, bei den 50ern sind es acht. Mit seinen mittlerweile schlanken 80 Kilogramm ist er meistens einer der schnellsten. Und auch die Vorliebe für verrückte Aktionen ist ihm geblieben. Ende November stellte er sich seiner ganz persönlichen Advents-Challenge. In zwölf Stunden wollte er so viele Höhenmeter wie möglich sammeln. Also lief er die alte Oberlenninger Steige hoch und den Wielandstein runter, immer wieder und wieder. 15 Mal in Summe. Am Ende kam er auf 77,67 Kilometer und 3650 Höhenmeter.

Unglaubliches Talent beweist Chris Rommel auch beim Joggen, denn einen Halbmarathon in unter 1:20 Stunden oder einfach mal 50 Kilometer auf dem heimischen Laufband in 4:05 Stunden abzuspulen, ist alles andere als gewöhnlich. „Meine größte Stärke ist der Wille“, weiß der 34-Jährige mittlerweile. Und diese Erfahrung würde er auch gerne anderen vermitteln. „Ich weiß, wo ich herkomme, und möchte gerne anderen zeigen, was man aus sich machen kann.“

An einem Tag von Unterlenningen nach Meersburg

Ideen für verrückte Aktionen hat Chris Rommel genügend. Sein nächstes Projekt ist ein Marsch von Unterlenningen nach Meersburg. Dafür will er innerhalb von 24 Stunden 141 Kilometer inklusive 2200 Höhenmeter absolvieren. Eine so lange Strecke ist der 34-Jährige noch nie am Stück gelaufen. „Ich will meine Grenze verschieben.“
Begleitet wird er unter anderem von seinem Vater auf dem E-Bike. „Er ist ein riesiges Vorbild für mich und oft mein wichtigster Ratgeber.“ Mit ihm ist er zwischen 2012 und 2016 jeweils eine ganze Woche lang den Jakobsweg zum Bodensee gelaufen. „Das war jedes Mal wie eine Woche Urlaub. Da muss man an gar nichts anderes denken.“
Unterstützung bekommt er außerdem vom ganzen Rest der Familie. Auch seine Mama wird dabei sein und die Tour mit einem Bussle begleiten. Ein Stück des Weges möchte zudem Maximilian Hait aus Unterensingen dabei sein. Mit ihm ist Chris Rommel schon viele Kilometer gewandert. Termin für die Aktion ist der 21. Juli. sl