Nach dem verwandelten Matchball sank Qiu zu Boden und musste erst einmal den Sieg verarbeiten. Keine zwei Monate nach seinem ersten Einzeltitel auf nationaler Ebene in Saarbrücken räumte der Penholderspieler nun bei seiner ersten EM-Nominierung für den Einzel-Wettbewerb gleich richtig ab und holte Gold. „Aktuell bin ich sprachlos. Ich kann es immer noch nicht fassen, Europameister geworden zu sein.“ Exakt 30 Jahre nach dem Triumph des heutigen Bundestrainers Jörg Roßkopf in Stuttgart triumphierte erneut ein Spieler aus Deutschland. „Die Zuschauer haben mich super unterstützt. Das war natürlich ein klarer Heimvorteil.“
Dang Qiu spielte das Turnier seines Lebens, jedoch sah es zur Wochenmitte noch nicht danach aus, als könnte der Spieler des deutschen Rekordmeisters Borussia Düsseldorf ganz oben auf dem Siegerpodest stehen. Gegen Ibrahim Gündüz aus der Türkei reichte es gerade so nach einem zwischenzeitlichen 2:3-Satzrückstand zu einem 4:3-Erfolg (11:9 im Entscheidungsdurchgang). Dieser Sieg gab Qiu Selbstvertrauen für die weiteren Aufgaben, die er mit Bravour meisterte. Ioannis Sgouropoulos aus Griechenland war bei der 0:4-Niederlage ebenso ohne Chance wie sein Doppelpartner Benedikt Duda im Achtelfinale.
Im Viertelfinale kam es dann zum Duell mit Tischtennis-Legende und Titelverteidiger Timo Boll. Einige Fans in der Halle rieben sich verwundert die Augen, als das deutsche Duell bereits nach einer halben Stunde beendet war. Dang Qiu brannte ein wahres Feuerwerk ab und setzte sich mit 4:0
Mit dem Erfolg gegen seinen Mannschaftskollegen im Verein und in der Nationalmannschaft hatte Qiu bereits seine erste EM-Einzelmedaille in der Tasche, da der dritte Platz nicht ausgespielt wird. Doch er wollte mehr. Das bekam im Halbfinale Mattias Falck (Schweden) zu spüren. Auch der amtierende Welt- und Europameister im Doppel fand kein Mittel, um gegen Dang Qiu zu bestehen. „Nach dem verlorenen vierten Satz habe ich mich nicht verrückt machen lassen. Anschließend bekam ich auch wieder schnell die Kurve.“ Am Ende stand ein 4:1 für den Deutschen und das Finale gegen Darko Jorgic war erreicht.
Die beiden Doppel-Wettbewerbe zuvor liefen allerdings nicht nach Plan. Mit Benedikt Duda kam das Aus im Viertelfinale. Gegen Daniel Habesohn und Robert Gardos aus Österreich gab es eine 8:11, 9:11, 11:5, 11:9 und 11:13-Niederlage. Im zweiten Durchgang konnten Qiu/Duda eine 9:6-Führung nicht zum Satzausgleich nutzen. Im letzten Abschnitt lag die deutsche Paarung noch mit 5:3 vorne. „Plötzlich stand es dann auf einmal 6:9“, erinnert sich Qiu. Nach Abwehr von zwei Matchbällen waren Dang Qiu und Benedikt Duda beim Stand von 11:10 plötzlich selbst nur noch einen Punkt vom Einzug in das Halbfinale entfernt. Doch es sollte nicht sein, denn die nächsten drei Ballwechsel entschieden Habesohn/Gardos für sich. Von einem „hochklassigen Match“ sprach Sportdirektor Richard Pause. „Beim Gewinn des zweiten Satzes hätte die Partie in eine andere Richtung gehen können. Ich habe eine Partie auf absoluter Augenhöhe gesehen. Leider wurden nicht alle Chancen genutzt.“
„Jetzt kennt uns jeder“
Im Mixed an der Seite von Nina Mittelham (TTC Berlin eastside), die im Einzel Silber gewann, kam das Aus im Achtelfinale gegen Einzel-Europameisterin Sofia Polcanova (Österreich) und Robert Gardos. Mittelham/Qiu, die vor 14 Monaten in Warschau noch völlig überraschend den Titel gewonnen hatten, konnten ihre Topleistung in München nicht erneut abrufen. „In Warschau waren wir noch Underdog. Jetzt kennt uns jeder“, so Mittelham.
Tischtennis im Blut
Dang Qiu (25) ist in Nürtingen geboren und aufgewachsen in Linsenhofen. Als 18-Jähriger stand er zu Beginn seiner aktiven Karriere 2014 eine Saison lang für den TTC Frickenhausen in der 2. Bundesliga an der Platte. Nach einem Jahr beim Zweitligisten TTC Ober-Erlenbach wechselte er 2016 erstmals in die Bundesliga zum ASV Grünwettersbach. Heute trägt Qiu das Trikot des deutschen Serienmeisters Borussia Düsseldorf.
Der neue Europameister entstammt einer erfolgreichen Tischtennis-Familie. Beide Eltern sind ehemalige chinesische Nationalspieler. Der Vater holte als langjähriger Bundesliga-Trainer in Frickenhausen mit dem TTC zwei deutsche Meistertitel und war 2006 Trainer des Jahres. tb