Fußball-EM
Weltenbummler mit dem Herz für Rot-Weiß

Der gebürtige Schweizer Alfred Keller drückt der „Nati“ im Spiel gegen Deutschland von Oberlenningen aus die Daumen. 

Mit Ball, Shirt und Mütze im eigenen Garten: Alfred Keller aus Oberlenningen freut sich auf das Spiel „seiner“ Schweizer gegen Deutschland.  Foto: Peter Eidemüller

Der Kopf sagt Deutschland, das Herz sagt Schweiz: Vor dem letzten Vorrundenspiel der DFB-Elf bei der Fußball-EM gegen die Eidgenossen am Sonntag ist Alfred Keller hin- und hergerissen. Als gebürtiger Schweizer drückt der 72-Jährige, der seit drei Jahren in Oberlenningen lebt, seinem Heimatland die Daumen. „Die Schweizer Mannschaft ist gut aufgestellt, die Chemie stimmt“, so Keller, „sie haben eine reelle Chance auf das Halbfinale.“

Die Einschätzungen des Pensionärs gehen weit über bloßes Fan-Wunschdenken hinaus. Alfred Keller kennt sich aus mit Fußball, hat in der Schweiz den Trainerschein mit illustren Mitstreitern wie dem späteren VfB-Coach Christian Gross, von 2009 bis 2010 am Wase, gemacht und ist über Umwege mit der Familie von Nationalspieler Manuel Akanji bekannt, der Fans in Deutschland aus seiner Zeit bei Borussia Dortmund ein Begriff ist.

Die Begeisterung für die „Nati“ ließ Alfred Keller vergangene Woche spontan auf die Waldau pilgern, wo er den dort untergebrachten Eidgenossen beim Training zuschauen wollte. „Ich dachte, man kann da einfach ins Gazi-Stadion“, lacht er – ohne vorherige Anmeldung ging allerdings nichts, Keller musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Gemildert wurde die Enttäuschung über die Freude, Dutzende Landesleute in rot-weißen Trikots getroffen und mit ihren geplaudert zu haben.

Kommunizieren ist ohnehin die große Stärke von Alfred Keller, der auf ein bewegtes (Berufs-)Leben zurückblickt. Als gelernter Buchdrucker kehrte er seiner Heimat Anfang der 70er-Jahre den Rücken („Die Schweiz war mir zu eng“), um in Neuseeland sesshaft zu werden. Dort arbeitete er 20 Jahre als Sozialpädagoge unter anderem mit arbeitslosen Maori, den Ureinwohnern des Pazifikstaats. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz sattelte er um, arbeitete in einer Klinik, ehe er mit seiner Frau ein Hotel in Davos betrieb. „Ich habe viele Dinge immer aus dem Bauch entschieden, aber immer Spaß bei allem gehabt“, sagt der Lebenskünstler verschmitzt.

Dass der Weltenbummler vor drei Jahren in Oberlenningen gelandet ist, war eher Zufall. Alfred Keller jobbte ehrenamtlich an einem Info-Pavillon der Schweizer Botschaft in Stuttgart, wo er mithalf, die Alpenrepublik zu (re) präsentieren. Um sich die ­Pendelei zu sparen, zog er kurzerhand ins Schwäbische, wo er mit seiner Frau ein Haus am Ortsrand von Oberlenningen kaufte und renovierte. An der Ausfallstraße Richtung Gutenberg betreiben Heike und Alfred Keller das Café „Binku“, eine Begegnungsstätte für Inklusion und Kulturen, das während der Sommermonate jeden Sonntag geöffnet hat und zum beliebten Ausflugsziel geworden ist.

Gut möglich also, dass morgen der eine oder andere Gast über Fußball reden wird – schließlich wird das Nachbarschaftsduell um 21 Uhr angepfiffen. „Ich hatte mal spaßeshalber nach Tickets geschaut“, sagt Alfred Keller, „aber als ich gesehen habe, dass die 265 Euro kosten, war das kein Thema mehr.“ Stattdessen wird er mit Freunden und Bekannten vor dem Fernseher sitzen – zwar nicht im Trikot, aber dafür im Dress aus Botschaftszeiten: „So ufgschtellt“ prangt auf der Brust des weinroten Shirts. „Das heißt so viel wie: Es geht mir gut“, sagt Keller, der findet, dass dies bei aller sportlichen Rivalität das Wichtigste sei.