Die Stimme ruhig, der Blick freundlich, die Arme hinter dem Rücken verschränkt – wenn Sascha von seiner Heimat spricht, verrät sein Äußeres nichts von dem, was er erlebt hat. Aber Sascha hat viel erlebt: den Krieg in der Ukraine. Der 32-Jährige war beim Militär, ehe er schwer verwundet wurde und mehrere Monate im Krankenhaus lag. Für den Dienst an der Waffe traumatisiert, hat er das Land verlassen dürfen. Mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern ist er bei Privatleuten in Owen untergekommen. „Die Hilfsbereitschaft der Menschen hier ist toll“, sagt er mit leuchtenden Augen, während um ihn herum die Fäuste fliegen.
In der Schlossberghalle in Dettingen ist Sascha einmal Mal pro Woche und macht das, was er als Balsam für die Seele beschreibt: Der bullige Mann mit der Glatze und dem Vollbart ist diplomierter Kickbox-Trainer. Vor dem Krieg hat er ukrainische Sportler auf nationale unter internationale Wettbewerbe vorbereitet, jetzt kümmert er sich mehr als 2000 Kilometer entfernt um kampfsportbegeisterte Mitglieder der SF Dettingen. „Da bin ich in meinem Element“, sagt er mit einem Lächeln auf Russisch.
Natascha Wasmann nickt und übersetzt, was Sascha von „seiner“ Sportart erzählt, die ihm tagtäglich helfe, das in der Heimat Erlebte zu verarbeiten. „Er hat mir nach und nach seine Geschichte erzählt“, sagt Wasmann, die Sascha im ukrainischen Treff im evangelischen Gemeindehaus in Dettingen kennengelernt hat. Dort ist die 41-Jährige ebenso ehrenamtlich tätig wie als Geschäftsstellenleiterin der SFD, als Kursleiterin und im AK Asyl – Natascha Wasmann ist die personifizierte Integrationshilfe der Schlossberggemeinde, zumal sie als gebürtige Kasachin problemlos mit den Geflüchteten aus der Ukraine kommunizieren kann. „Es ist wichtig, den Menschen Angebote zu machen und eine Perspektive zu bieten“, sagt sie, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt und für viele gestrandete Ukrainer erste Ansprechpartnerin ist.
So wie für Paul. Der 15-Jährige lebt mit seiner Mutter in einem der Container, die die Gemeinde neben dem Hallenbad aufgestellt hat. Außer Homeschooling via PC von morgens bis abends hatte der Teenager kaum Kontakte, von Bewegung ganz zu schweigen. „Irgendwann habe ich ihn einfach zum Kickbox-Training mitgenommen“, berichtet Natascha Wasmann. „Am Anfang war er ganz verschüchtert, ging gebeugt und schaute immer auf den Boden. Durch den Sport hat er sich total gewandelt.“ Wie zum Beweis tänzelt Paul lachend und schwitzend um seinen Trainingspartner herum und landet auf dessen Kommando Kicks im Schlagpolster.
Gekommen, um zu bleiben
Ein paar Meter weiter beharken sich Violetta und Diana. Die beiden 15 und 21 Jahre alten Schwestern stammen aus Mariupol – was sie dort erlebt haben, wollen sie für sich behalten. Heimweh nach der völlig zerstörten Stadt am Asowschen Meer haben sie nicht. „Was sollen wir dort, es ist doch alles kaputt“, zucken sie mit den Schultern. Genau wie Sascha haben sie sich eingelebt, fühlen sich wohl und wollen gerne bleiben. „In den nächsten Jahren“, glaubt Sascha, „wird es in der Ukraine kein geordnetes Leben geben.“ Bevor der Krieg nicht vorbei ist, sei eine Rückkehr für ihn und seine Familie kein Thema. Gerne würde er sich hier etwas aufbauen, gerne noch mehr als Trainer arbeiten. Nicht nur, weil es ablenkt: „An die Grenzen gehen, den Willen stärken und selbstbewusst sein, all das gibt mir das Kickboxen“, sagt er – mit ruhiger Stimme, freundlichem Blick und den Händen mittlerweile vor dem Körper gefaltet.