Die Edelfans Dworak (FC Bayern) und Bauer (BVB) verfolgen das Champions-League-Finale heute live im Londoner Wembley-Stadion
Wie ein Sechser im Lotto

Es fühlt sich für beide an wie ein Sechser im Lotto: Sowohl der Jesinger Bayern-Fan Holger Dworak (46) als auch BVB-Anhänger Viktor Bauer (28) aus Neckartenzlingen hatten bei der Eintrittskarten-Vergabe für das Champions-League-Finale riesiges Glück. Von mehr als

750 000 Bewerbern hierzulande kam nur jeder 15. in den Genuss eines Tickets – Dworak und Bauer zählten dazu. Heute Abend gehören sie zum exklusiven Kreis jener knapp 90 000 Schaulustigen, die im berühmt-berüchtigten Londoner Wembley-Stadion live miterleben dürfen, wie eines der zwei deutschen Fußball-Schwergewichte das andere in die Knie zwingt und sich anschließend die europäische Krone aufsetzt. Fragt sich nur, welcher Club das ist.

War das eine Freude. Eigentlich hatte der eingefleischte Borussia-Dortmund-Fan Viktor Bauer, Vereinsmitglied, Dauerkarteninhaber, Südkurven-Stammgast im Signal Iduna-Park und Schlachtenbummler bei den meisten BVB-Auswärtsspielen

all seine Hoffnungen auf ein Wembley-Ticket schon längst begraben. Etliche Tage nach seiner Anfrage hatte er noch immer keine Nachricht erhalten – ein schlechtes Zeichen. Bis in seiner E-Mail-Box eine Woche später dann doch noch die gute Nachricht eintraf. „Nachts konnte ich danach nicht mehr schlafen“, sagt er. Bayern-Dauerkarteninhaber und -Beitragszahler Holger Dworak („Mitglied bin ich vor 15 Jahren geworden, um besser an Champions-League-Karten zu kommen“) wurde von seinem Verein nach dem Kartenwunsch ebenfalls lange auf die Folter gespannt. Eine überraschende Offerte bekam er schließlich von Franz Dasch, seinem Tribünenplatz-Nachbarn bei Bayern-Heimspielen. „Der Franz hat bei der Verlosung zwei Tickets erhalten und mir eines davon sofort angeboten“, erzählte der Jesinger stolz. Klar, dass Dworak sofort Ja sagte zum zwar schlappe 285 Euro teuren, ideell aber unbezahlbaren Wembley-Ticket.

Der bayerisch-schwäbischen Nachbarschaftshilfe hatte es der rot-weiße Edelfan aus der Teckstadt zu verdanken, dass er das Finale jetzt hautnah miterleben kann. Heute Morgen gegen 6.15 Uhr war er vom Stuttgarter Flughafen aus gen Großbritannien losgeflogen, um auf der britischen Kanalinsel Guernsey erst einmal einen zweieinhalbstündigen Zwischenstopp einzulegen – Fluch der Flugroute. Die Strapaze des insularen Zwangsaufenthalts inklusive der verspäteten Landung in London bereitete ihm allerdings deshalb kein Kopfzerbrechen, weil sie alternativlos war. „Dies war der einzige Flug von Stuttgart nach London, den ich am Finaltag bekommen konnte“, sagte Dworak. Sämtliche Direktflüge waren längst ausgebucht.

Zur Not wäre Dworak zum Champions-League-Gipfel wohl auch durch den Kanal geschwommen, so wichtig war es ihm. Bei Ebay hätten manche für seine exklusive Tribünenkarte das Zehnfache des Preises bezahlt – aber solch ein Deal war nie ein Thema für ihn. „Ich hätte meine Eintrittskarte im Zweifelsfall nicht einmal für 4 000 Euro weiterverkauft“, sagt Dworak, der Bankkaufmann.

Das Kicker-Event ist ihm wichtiger als schnöder Mammon, genau wie seinem BVB-Kollegen Viktor Bauer. Der ist, welch ein Zufall, ebenfalls Bankkaufmann bei der Volksbank: Der eine arbeitet in Wannweil, Dworak in Kirchheim. Auch in Geldfragen mit Fußball-Hintergrund ticken die Geschäftskollegen, die sich persönlich nicht kennen, gleich. „Meine Lebensgefährtin Nicole hat mich kürzlich gefragt, ob ich das Wembley-Ticket nicht besser für 3 000 Euro im Internet verkaufen wolle. Damit hätten wir unseren Kredit für die Badsanierung ablösen können“, erzählte Bauer aus seiner Privatsphäre. Aus nachvollziehbaren Gründen verneinte er und ist im Nachhinein froh, dass es daheim keinen Konflikt gab. „Zum Glück habe ich solch eine verständnisvolle Freundin.“ Und so darf der Mann, der mit seinen Eltern vor 16 Jahren aus dem sibirischen Omsk nach Deutschland gekommen war, heute Abend adrenalintriefend im Dortmunder Fanblock sitzen und seine Borussia mindestens 90 Minuten lang lautstark anfeuern.

„Wir gewinnen“, beschwört der schwarzgelbe Schwabe aus Neckartenzlingen, „falls nicht, ist das aber auch nicht schlimm. Das Leben geht auch bei einer Niederlage weiter.“ Bei BVB-Sieg aber dürfte in irgendeinem Londoner Pub oder Club spät am Abend der Bär besonders ausgelassen steppen. Denn Bauer, der für die Schiedsrichtergruppe Reutlingen Bezirksliga-Spiele pfeift, hat nach London vier Kumpels ohne Karten mitgebracht. „Nach dem Spiel feiern wir so oder so“, sagt er.

Wobei sie dann sorgsam darauf achten werden, dass der sportliche Klassenfeind beim Biertrinken nicht mit am Tisch sitzen wird: Eine Verbrüderung mit Bayern-Fans schließt Bauer („das bayerische ‚Mir san mir‘ wirkt arrogant auf mich“) kategorisch aus. „Als BVB-Fan feiere ich doch keinen Bayern-Sieg“, sagt er fast trotzig. Widerspruch bei Holger Dworak. Auch als Bayern-Fan könne er sich gut vorstellen, mit den Dortmundern mitzufeiern – „Warum nicht?“ Der Jesinger kennt keine Berührungsängste – auch nicht im Falle eines BVB-Sieges.

Wer gewinnt das Champions-League-Finale? Holger Dworak ist sich sicher: Der Sieger heute Abend wird FC Bayern München heißen. „Bayern ist sportlich und wirtschaftlich der beste Club in Deutschland, und dazu passt auch der Spruch vom ‚Mir san mir‘. Er entspricht einfach der Mentalität der Bayern“, sagt er. Für ihn sind es die beiden Mittelfeldspieler Schweinsteiger und Martinez, die den Unterschied machen werden: „Beide werden die Dortmunder Offensivspieler entscheidend bremsen.“ Im BVB-Lager sieht man die Rollenverteilung beim kontinentalen Showdown naturgemäß anders. „Lewandowski ist Europas bester Stürmer und wird das Endspiel für die Dortmunder entscheiden“, glaubt Viktor Bauer.