Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Ginge es nach den Plänen, die hochrangige AfD-Politker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer bei dem unlängst bekannt gewordenen Treffen in Potsdam diskutiert haben, sollen diese aus Deutschland vertrieben werden. Egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.
Die Folgen wären in allen gesellschaftlichen Bereichen verheerend und unabsehbar – auch im Sport. „Wenn man bedenkt, dass weit über zehn Prozent der Mitglieder in deutschen Sportvereinen einen Migrationshintergrund haben, kann man sich ausmalen, welche gravierenden Konsequenzen dies für Teile des organisierten Sports hätte“, sagt Marc Eisenmann, Vorsitzender des VfL Kirchheim, mitgliederstärkster Sportverein im Kreis Esslingen. „Mannschaften wären nicht mehr spielfähig, diverse Ehrenämter könnten nicht mehr besetzt werden. Man kann unumwunden sagen, dass die Sportvielfalt gefährdet wäre.“
Ein Verein, der in der Region seit nunmehr 30 Jahren für diese Vielfalt steht, ist der AC Catania Kirchheim. Der Fußballklub mit italienischen Wurzeln ist längst ein Tummelplatz von und für Menschen unterschiedlichster Herkunft. „Als Multikultiverein leben wir Zusammenhalt und Gemeinschaft quasi vor“, betont der Spielertrainer der Catania-Kicker Cosimo Attorre. Das Erstarken der politischen Rechten sieht er dabei gelassen. „Deutschland wird nicht zulassen, dass die AfD in Verantwortung kommt“, glaubt er. „Jeder, der wählen darf, sollte wissen, wo er sein Kreuz machen muss.“ Ob er als Italiener, der mit einer Griechin verheiratet ist, trotzdem einen Rechtsruck fürchtet? „Wenn ich Angst vor der AfD haben würde“, lacht Attorre, „müsste ich auch vor der Sonne Angst haben wegen Krebs.“
Themen anders bespielen
Einer, der von den rechten Vertreibungsfantasien ebenfalls betroffen wäre, ist Manuel Rommel. Der dunkelhäutige Sohn einer afroamerikanischen Mutter und eines deutschen Vaters spielt Fußball beim TSV Schlierbach. Sorgen macht sich der 31-Jährige nicht erst seit dem schlagzeilenträchtigen Treffen rund um die AfD in Potsdam. „Man merkt schon, dass die allgemeine Stimmung mehr ins Nationale umschlägt“, sagt Rommel, der sich persönlich allerdings nicht bedroht sieht – noch nicht. „Sollte die AfD auch bei uns in Baden-Württemberg noch stärker werden, wäre für mich der Punkt erreicht, an dem ich mich politisch engagiere.“ Bis dahin wünscht er sich von den Verantwortlichen aller demokratischer Parteien, nach Lösungen gegen das Erstarken der Rechten zu suchen. „Ich erwarte von den Politikern, dass sie nicht nur in Legislaturperioden denken, sondern gemeinsam wieder in die Spur finden. Immer nur AfD-Bashing zu betrieben, bringt nichts. Man muss denen die Themen abnehmen und anders bespielen.“
Finanziert von Russland?
Genau an diesem Punkt setzt die Kritik von Micky Corucle an. „Die anderen Parteien scheinen nicht sonderlich interessiert daran, die AfD zu stoppen,“ sagt der Leichtathletik-Trainer aus Rumänien, der seit Jahren deutscher Staatsbürger ist. „Die meisten wählen AfD aus Protest“, glaubt der Köngener, „aber dieser Protest kann schnell in die falsche Richtung gehen.“ Seiner Meinung nach wird die AfD finanziert von Russland, das damit Schwierigkeiten und Probleme verursachen und daraus Kapital schlagen wolle. „Die deutsche Gesellschaft ist nicht rechtsradikal, lässt sich aber manipulieren“ sagt er, der sich dennoch keine Sorgen macht. „Die Gesellschaft ist trotz allem demokratisch und stabil genung, um so eine Attacke abzuwehren.“
Klare Kante beim VfL
Als Beispiel für diese Stabilität dient der VfL Kirchheim, in dem Micky Corucle bekanntlich als Trainer tätig ist. „Es gibt bei uns null Toleranz gegenüber Hass und Ausgrenzung“, betont der Vorsitzende Marc Eisenmann, dass Mitgliedschaften im VfL beendet werden können, wenn einem Mitglied zusätzlich die Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation oder einer rassistisch-fremdenfeindlich organisierten Vereinigung nachgewiesen werden kann. Zu groß sei die Bedeutung von Sportvereinen für den Zusammenhalt der Gesellschaft, gerade im Hinblick auf die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. „Beim gemeinsamen Sporttreiben gibt es die Kategorien „Einheimische“ und „Fremde“ nicht“, sagt Eisenmann, „ganz im Gegenteil: Menschen gleich welcher Herkunft lernen sich kennen und setzen sich für eine gemeinsame Sache ein.“
Dass all dies im Zuge einer immer stärker werdenden politischen Rechten infrage gestellt und sogar gefährdet wird, bereitet dem langjährigen Vereinsfunktionär, der für die SPD im Kirchheimer Gemeinderat sitzt, große Sorgen: „Mich treibt vor allem um, wie einfach es zu gehen scheint, Proteststimmen einzusammeln und aus den unterschiedlichsten Empörungsgründen bündeln zu können, ohne wirklich praktikable Lösungen anzubieten“, wundert sich Eisenmann, dessen größere Sorge jedoch ist, dass die Unzufriedenheit und die Sorgen und Nöte aufgrund einer unsicher gewordenen Welt in weiten Teilen der Gesellschaft bei immer mehr Menschen in Wut umschlage. Sein Plädoyer: „Lasst uns mutig und entschlossen nach guten Lösungen für uns suchen. Angst war noch nie ein guter Ratgeber, auch nicht im Sport.“