Ganz am Anfang steht Tüftlergeist. Wer gerne an Stellschrauben dreht, Abläufe optimiert und bei Qualität keinen Stillstand duldet, der hat im Leben viele Möglichkeiten. Er kann sich für den Leistungssport entscheiden - oder Bierbrauer werden. In seltenen Fällen auch beides. Alkohol und Sport, das klingt nach durchzechten Nächten im Vereinsheim, nach Bierdunst in der Umkleide und nach Feierabend-Gaudi. „Für mich ist es Leidenschaft und Traumberuf.“ Das sagt ein 17-Jähriger, der von der Spitze in der deutschen Läufer-Landschaft träumt und im selben Atemzug von offener Obergärung schwärmt.
Alexander Niemela, zurzeit größtes Lauftalent der LG Teck, führt ein Doppelleben. Am Abend durchstreift er die Wälder rund um seinen Heimatort Ochsenwang oder spult auf der Bahn im Weilheimer Lindachstadion Tempoläufe ab. Morgens um sieben beginnt seine Arbeit in der Ehinger Berg-Brauerei, sofern er in der Ferdinand-Steinbeis-Schule auf dem Ulmer Kuhberg nicht gerade die Schulbank drückt. Ein rotbackiger Teenager mit wilden Locken und einem vereinnahmenden Lächeln. Redegewandt, tatendurstig und auf dem Weg zum Brauer und Mälzer, wie die korrekte Berufsbezeichnung lautet.
Wie entdeckt ein begabter Langstreckler seine Leidenschaft fürs Bier? Eine Frage, die er häufig schon beantworten musste, seit er im September vergangenen Jahres nach der mittleren Reife seine Ausbildung begann. Eine Leidenschaft, die womöglich in den Genen steckt, denn wer die Antwort sucht, muss zwei Generationen überblättern. Der Urgroßvater war Braumeister, der Opa ist im Sudhaus aufgewachsen. Jedes Mal, wenn er dem Enkel von dieser Zeit erzählte, dann spitzte der als Knirps gespannt die Ohren. Die Neugierde brannte, und als seine Klassenkameraden begannen, die Arbeitswelt in Büros und Werkstätten zu erkunden, entschied er sich als 15-Jähriger für ein Schulpraktikum in der Brauerei. „Die Kombination aus altem Handwerk und hoch entwickelter Technik hat mich immer fasziniert“, sagt er. „Man braucht Ehrgeiz, damit es gut wird - genau wie im Sport.“ Ein Wort fällt dabei immer wieder: Traumberuf.
„Runner‘s High“ statt Alkohol
Eine Frage bleibt am Ende trotzdem. Alkohol und Leistungssport, wie passt das zusammen? „Als Brauer ist man nicht automatisch ein Trinker“, wendet Niemela ein. „Mir schmeckt‘s, aber in Maßen.“ Seinen Rausch holt er sich beim Sport. Das Hochgefühl, wenn Endorphine nach harten Einheiten die Blutbahn fluten, nennen Läufer „Runner‘s High“. Dass ein Bier nach dem Training der Regeneration dienen kann und die Kohlenhydratspeicher wieder füllt, ist dagegen mehr als eine Binsenweisheit. Für den Brau-Azubi ist es Lebensmittelchemie und damit Unterrichtsstoff.
Seiner Leistung im Sport hat es bisher nicht geschadet. Er ist amtierender Waldlauf-Landesmeister in der U18 und führt die württembergische Bestenliste in seiner Altersklasse über zehn Kilometer auf der Straße an. Vor wenigen Wochen hat er beim Hallen-Meeting in Sindelfingen seine Bestzeit über 800 Meter auf 2:02,81 Minuten geschraubt. Sein Ziel für die bevorstehende Freiluftsaison: unter zwei Minuten laufen.
Fragt man ihn nach seiner Paradestrecke, muss er nachdenken. Eigentlich gibt es die nicht. Abwechslung ist ein Spaßfaktor. „Denn Spaß ist für mich das Wichtigste, im Sport wie im Beruf.“ Im Dezember wird er 18. Vor ihm liegt seine erste Saison in der U20. Während der fünf Jahre, die ihm im Juniorenbereich noch bleiben, sagt er, „will ich mein Programm so breit wie möglich halten.“ Mit seinem Heimtrainer Ralf Mutschler hat er zuletzt intensiv an seiner Grundschnelligkeit gefeilt, was sich im Sommer auf der doppelten Stadionrunde auszahlen soll. Die 5 000 Meter stehen trotzdem auf dem Plan. Bei den Landesmeisterschaften am 21. April in Freiburg will er als amtierender Vizemeister zumindest Platz zwei auch in der höheren Altersklasse verteidigen. Dafür trainiert er fast täglich mit einem Wochenpensum bis zu 75 Kilometer. Daheim mit der LG Teck, mit dem Landestrainer am Olympia-Stützpunkt in Stuttgart oder auch nach der Arbeit in Ehingen. „Das ist der Vorteil beim Laufen“, meint er. „Man braucht nur Laufschuhe und sich selbst.“
Das Erstaunliche: Neben all dem bleibt trotzdem Zeit. Für die Jugendfeuerwehr, für Freunde und natürlich fürs Bier. Im Einweckautomat der Mutter feilt er daheim an seiner Handschrift als Brauer. Verkostet wird unter Freunden oder in der Familie. „Bis jetzt ist noch viel Luft nach oben“, meint er und lacht. Bis jetzt ist auch noch kein Meister vom Himmel gefallen. Weder im Sudhaus, noch auf der Bahn.