Serie Bahnprojekt

Herr über den „Mittelstandsabschnitt“

Baustelle Benjamin Denk leitet seit Frühjahr den S21-Abschnitt zwischen Esslingen und Wendlingen. Der Ingenieur wird vor den Toren Wendlingens das Autobahnkleeblatt ICE-tauglich umbauen. Von Sylvia Gierlichs

Der Projektabschnitt zwischen Esslingen und Wendlingen hat durchaus seine Herausforderungen: Benjamin Denk vor dem Denkendorfer
Der Projektabschnitt zwischen Esslingen und Wendlingen hat durchaus seine Herausforderungen: Benjamin Denk vor dem Denkendorfer Tunnel.Foto: Jürgen Holzwarth

Insgesamt 24 Brücken, ein 768 Meter langer Tunnel, der Umbau des Autobahnkleeblatts Wendlingen und nur ganz wenige Eidechsen: Die Baustelle, für die Benjamin Denk seit 1. März die Verantwortung trägt, ist nett. Keine große Aufmerksamkeit seitens Tierschützern oder Anwohnern, die sich über den Baustellenlärm beklagen. „Der Lärm der Baustelle geht im Verkehrslärm der A 8 unter“, sagt der Bauingenieur. Hinter ihm ragen Metallstreben der Betonbewehrung aus dem Tunneleinschnitt. Für den Laien ein undurchschaubares Wirrwarr. Benjamin Denk leitet den Projektabschnitt 1.4 des Megabahnprojekts Stuttgart 21.

Der Abschnitt reicht von Plieningen bis zur Neckarbrücke. „Mein Abschnitt hat lange nicht so viel Anziehungskraft wie der des 8,3 Kilometer langen Albvorlandtunnels, der von zwei riesigen Maschinen gebaut wird“, sagt Denk. Eigentlich sagt er: „Mein Abschnitt ist lange nicht so sexy wie der des Albvorlandtunnels.“ Gleich darauf kommen dem Ingenieur jedoch Bedenken: „Das schreiben Sie aber nicht.“ Nun, der vermeintlich mangelnde Sex-Appeal von Denks Bauabschnitt wird jedenfalls dadurch wettgemacht, dass die Eingriffe in die Natur und das Lebensumfeld der Menschen lange nicht so tief sind wie auf der Nachbarbaustelle.

Kein Auf und Ab bei der ICE-Trasse

Auf Denks Baustelle geht es um zehn Kilometer Eisenbahnstrecke. Von den Fildern ins Neckartal hinunter. Um die Strecke für den Hochgeschwindigkeitszug auf ein gleich hohes Niveau zu bringen, müssen Dämme aufgeschüttet werden. Denn Auf und Ab und Kurven ohne Ende, dafür sind Hochgeschwindigkeitszüge nicht gebaut. Die ICE-Trasse kreuzt Landstraßen und Wirtschaftswege. Und die Autobahn. Sie wird bei der Raststätte Denkendorf von eben jenem 768 Meter langen Tunnel unterquert. Ein spannendes Unterfangen, denn die Verlegung des Tunnels von der nördlichen auf die südliche Seite der Autobahn wird bei laufendem Verkehr erledigt.

Ebenfalls interessant dürfte der Umbau des südlichen Teils des Wendlinger Autobahn-Kleeblatts werden. Hier durchschneidet die ICE-Trasse die südlichen Auf- und Abfahrtsrampen. Also werden fünf Brücken über den Autoverkehr gebaut. „Auch hier können wir nicht einfach die B 313 stilllegen“, sagt Denk schmunzelnd. Also: Arbeiten bei laufendem Verkehr. Um das zu ermöglichen, werden temporäre Autobahnauffahrten gebaut.

Die eigentlich spektakulären Bauwerke sind laut Denk die Verlängerungen der Brücken über die Autobahn bei den Köngener Wangerhöfen und ein Stück weiter vorne zwischen Köngen und Unterensingen. „Bei laufendem Betrieb der Autobahn die vorhandenen Brücken teilweise abzuschneiden, mit einer provisorischen Stütze zu versehen und eine Verlängerung daranzusetzen, das hat was“, sagt der Ingenieur. Verlängert werden müssen die Brücken deswegen, weil sie am Ende nicht nur über die Autobahn, sondern auch über die ICE-Trasse führen müssen.

Der Projektabschnitt ist in viele kleine Unterabschnitte aufgeteilt. „Die Strecke von den Fildern runter ins Neckartal wird deswegen auch Mittelstandsabschnitt genannt. Wir wollten, dass hier mittelständische Bauunternehmen aus der Region berücksichtigt werden können“, erklärt Denk. Das bedeutet aber auch, dass der Bauingenieur für jedes der vielen Einzelbauwerke eine Vielzahl von Ansprechpartnern hat. Vor allem deren Arbeit zu synchronisieren, ist eine herausfordernde Aufgabe für den erst 38-jährigen Projektleiter und seine Mannschaft.

Ab dem Frühjahr 2018 geht es auf Denks Bauabschnitt so richtig rund, denn dann wird an allen Gewerken gearbeitet. „Das ist der schönste Moment, wenn man sieht, wofür die lange Vorbereitungszeit notwendig war“, sagt er. Draußen sein, im Dreck der Baustelle stehen und die Bauwerke wachsen zu sehen, das ist genau sein Ding. Denk hat zunächst eine Lehre als Zimmermann gemacht, dann an der Stuttgarter Hochschule für Technik Infrastrukturmanagement studiert. Schon im Studium war das teils nicht ganz unumstrittene Projekt ein Thema.

Seit sechs Jahren ist er nun selbst dabei. Zunächst arbeitete er am Abschnitt des Albaufstiegs, dann wurden der Fildertunnel und die Zuführung Unter- und Obertürkheim seine neuen Aufgabengebiete. Dass er bei diesem Projekt die Chance erhalten hat, eine Führungsposition zu übernehmen, dafür sei er dankbar, sagt er. Überrascht habe es ihn schon, als man ihm mitgeteilt hat, er würde den Abschnitt als Projektleiter übernehmen. „Ich habe das Glück, dass dieses Projekt direkt vor meiner Haustüre stattfindet“, sagt der Bauingenieur.

Er liebt Maultaschen und das Motorradfahren

Benjamin Denk ist gebürtiger Besigheimer. Er kommt aus einer Winzerfamilie und lebt heute in Stuttgart. Besigheim - da bietet sich natürlich die Frage nach dem Lieblingswein an. „Lemberger aus dem Barrique natürlich“, sagt er schmunzelnd. Man merkt, Denk ist in der Region verwurzelt. Er liebt Maultaschen und Spätzle, die Alb, ist Dauerkartenbesitzer beim VfB.

Aus Italien kommt seine große Leidenschaft - eine Ducati Hypermotard stand bis vor Kurzem in seiner Garage. Denks Lieblingsstrecke, die Neuffener Steige, ist jedoch seit Jahren an den Wochenenden für den Motorradverkehr gesperrt. „Leider“, seufzt er. Über den schwäbischen Horizont hinausgeblickt gehört auch noch die Strecke über den Bernardino an den Comer See zu seinen Favoriten.

Die schöne Italienerin ist jetzt verkauft - der Job lässt ihm nicht mehr genügend Zeit fürs Motorradfahren. „Es ist aber nicht so, dass ich nur noch fürs Projekt lebe und kein Privatleben mehr habe“, tritt er flugs dem sich einschleichenden Eindruck entgegen, ein Workaholic zu sein.

Wie geht es weiter, wenn die ICE-Trasse dann gebaut ist? So um das Jahr 2021 herum? Richtig Gedanken macht sich Benjamin Denk über diese Zeit noch nicht. „In Schubladen denken, sich zu enge Grenzen setzen, so funktioniere ich nicht. Deswegen habe ich auch noch keine Pläne parat“, sagt er. Was zählt, ist jetzt.sg