Steingau-Quartier
Steingau-Quartier: Als Mensch mit Demenz lebt sich’s in der WG gut

Senioren Die Wohngemeinschaft „Mittendrin“ für Menschen mit Demenz des Kirchheimer Vereins „Gemeinsam statt einsam“ profitiert von den vielfältigen Möglichkeiten, die das Steingau-Areal mit seinen kurzen Wegen bietet. Von Anke Kirsammer

Fotografien hängen an den Wänden, selbstgebastelte Papierdeko mit Blumen und Schmetterlingen schmückt die Fenster, auf dem Balkon ziehen Narzissen, Bellis und bunte Primeln die Blicke auf sich. Wohnlich ist die „WG Mittendrin“ in der Kirchheimer Otto-Mörike-Straße im Steingau-Areal geworden. Hier sind fast genau vor zwei Jahren die ersten Bewohnerinnen eingezogen.

 

Im besten Fall leiht man sich ein Ei aus.
Jana Appel
Die Vereinsvorsitzende  setzt auf gute Nachbarschaft.

 

Mit acht Frauen und Männern ist die Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz längst voll besetzt, die Abläufe haben sich eingespielt. In der Küche hängt wie zuhause der Einkaufszettel. Zur Kaffeezeit sind um den großen Esstisch bis auf einen Bewohner, der noch seinen Mittagschlaf hält,  alle versammelt. Vereinzelt liegen noch Weintrauben und Apfelschnitze auf den Tellern. Beim Schnippeln und Tischdecken hatten die Betagten wie immer mit angepackt. „Das klappt gut“, sagt Claudia Krupp, die in der WG seit einem Jahr als Teamleiterin fungiert. „Morgens stehen alle voller Erwartung da und fragen, was sie tun können.“ Ob die Spülmaschine ein- oder ausgeräumt wird, die Wäsche zu legen oder der Müll zu entsorgen ist – den Haushalt stemmen die Alltagsbegleiterinnen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zusammen. Der Name des Vereins „Gemeinsam statt einsam“, der die WG betreibt, ist in der Wohngemeinschaft Programm. Dabei bringen sich auch die Angehörigen ein. Sie erledigen etwa den wöchentlichen Großeinkauf, putzen die Fenster und kümmern sich um die Balkonbepflanzung. „Die gemeinsame Verantwortung nehmen wir ernst“, betont die Vereinsvorsitzende Jana Appel. Trotz der Professionalisierung sei der Wunsch aller, den familiären Charakter zu erhalten.

Vernetzung ist gut möglich

Noch dominiert der Baustellencharakter ringsum, und auch im neun Ar großen „Pocketpark“ hinterm Haus herrscht noch Wildwuchs. An der Gestaltung der Grünfläche will sich die WG beteiligen, schließlich wurde der Name „WG Mittendrin“ nicht von ungefähr gewählt. Gesetzt wird auf gute Nachbarschaft. „Im besten Fall leiht man sich ein Ei aus“, sagt Jana Appel. „Wir wollen Normalität leben“, so beschreibt es der Interimsgeschäftsführer des Vereins, Manfred Kurz. Die WG ist im Nachbarschaftsverteiler des Quartiers, Stehtische für Treffen wurden angeschafft, und mit dem Café „Mittendrin“ im Erdgeschoss gibt es eine Anlaufstelle, die mit Besucherinnen und Besuchern regelmäßig angesteuert wird. Auch der samstägliche Gang zum nahegelegenen Wochenmarkt in der Stadt und der Besuch von Gottesdiensten gehören für viele selbstverständlich dazu.

„Wir können uns hier im Quartier gut vernetzen“, sagt Manfred Kurz. Damit meint er auch die Möglichkeit, die „con4rent“-Räume zu mieten. Teamsitzungen, zu denen man sich online zuschalten kann, lassen sich hier problemlos abhalten. Gerne nutzen die Bewohnerinnen und Bewohner die Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke im Steingauareal. Sich beispielsweise im Bioladen zu versorgen und dabei die verschiedenen Obst- und Gemüsesorten anzuschauen, sei für die an Demenz erkrankten Seniorinnen und Senioren Betreuung und Aktivierung zugleich, erklärt Jana Appel.

Außer den Alltagsbegleiterinnen, die im Schichtdienst rund um die Uhr in der WG sind, kümmern sich jeden Tag ambulante Pflegekräfte, Angehörige und Ehrenamtliche um die Bewohnerinnen und Bewohner. Kooperiert wird mit der Sanwaldstiftung, regelmäßig kommt jemand, um Musik zu machen, es gibt Tanznachmittage und Rikschafahrten von „WirRauner“. Jana Appels Augen strahlen noch mehr als sonst: „Es gibt so viele super Initiativen. Wenn man in einer Stadt alt werden will, dann in Kirchheim.“

 

Professionelle Struktur ist nötig

Der Verein Gemeinsam statt Einsam wird zukünftig mit der katholischen Sozialstation Kirchheim kooperieren, die zur Keppler Stiftung gehört. Die Stiftung betreibt in Kirchheim auch das Pflegeheim St. Hedwig und hat den Treffpunkt „WirRauner“ ins Leben gerufen. Der Start der Kooperation ist für den 1. Juni geplant. Von da an ist Manfred Kurz Geschäftsführer der katholischen Sozialstation Wernau-Kirchheim und des Vereins „Gemeinsam statt Einsam“ in Personalunion.

Entstanden aus einer Initiative von vier Frauen, die 2005 in der Kirchheimer Hindenburgstraße eine Demenz-WG für ihre Mütter eröffnet haben, ist der Verein „Gemeinsam statt einsam“ stetig gewachsen. Mittlerweile hat er 50 Mitglieder und 50 Angestellte. „Sie erfordern professionellere und somit institutionelle Strukturen, die über die Möglichkeiten eines rein ehrenamtlich getragenen Bürgervereins hinaus gehen“, erklärt die Vorsitzende Jana Appel. In vielen Runden wurde erarbeitet, wie die geteilte Verantwortung aussehen soll.

Unterstützt werden die Nachbarschaftsnetzwerke, mit denen auch die Demenz-WG verwoben ist, vom städtischen Quartiersmanagement. „Wir geben Impulse für Neues und fungieren als Schnittstelle zur Stadtverwaltung und dem Gemeinderat“, so umreißt Quartiersmanagerin Monique Kranz-Janssen ihre Aufgabe. Im Steingauareal war das Quartiersmanagement vom Bezug der ersten Baufelder an eingebunden. Es stößt Aktivitäten wie die Gestaltung des „Pocketparks“ an, finanziert sie mit und moderiert Aufbautreffen.      ank