Medizinische Versorgung
Ärztemangel im Kreis Esslingen: Plötzlich ohne Hausarzt

Die Lage in der ambulanten medizinischen Versorgung im Landkreis Esslingen wird angespannter. Nicht selten kommt es vor, dass Patienten keinen Hausarzt finden. 

Bei gesundheitlichen Problemen haben sich Sylvia Sossalla und ihr Mann vertrauensvoll an ihren Hausarzt ganz in der Nähe gewandt. Symbolfoto: stock.adobe.com

Knapp 30 Jahre lang lebte Familie Sossalla in der Braike in Nürtingen. Bei gesundheitlichen Problemen haben sich Sylvia Sossalla und ihr Mann vertrauensvoll an ihren Hausarzt ganz in der Nähe gewandt. Doch Ende vergangenen Jahres machte die Praxis dicht, der Mediziner hörte altersbedingt auf. Eine Nachfolge gab es nicht. Für die Sossallas zunächst keine große Sache. Außerdem war das Paar nach Lenningen umgezogen. „Wir gehen ohnehin selten zum Arzt. Eigentlich erst, wenn es gar nicht anders geht“, sagt Sylvia Sossalla. Aber als ihr Mann tatsächlich akut erkrankt, muss schnell ein neuer Hausarzt her. Dass das kaum möglich ist, ahnt Sylvia Sossalla zu diesem Zeitpunkt nicht.

In Nürtingen liegt nach diversen Praxisschließungen der Versorgungsgrad bei unter 90 Prozent.

Jochen Maier, stellvertretender Vorsitzender der Ärzteschaft Nürtingen

Tagelang telefoniert sie eine Praxis nach der anderen ab, schreibt E-Mails, wendet sich sogar an die Kassenärztliche Vereinigung – ohne Erfolg. „Wir haben zuerst bei einer Praxis in Unterlenningen angerufen. Dort lehnte man uns vehement ab.“ Man nehme generell keine neuen Patienten auf, so die Erklärung. Auch eine Hausarztpraxis in Oberlenningen habe einen Patientenstopp verhängt. „Dort wurde mein Mann zwar behandelt, uns als Patienten aufnehmen wollte man aber nicht.“

Also sucht das Paar in anderen Gemeinden im Kreis Esslingen Hilfe. „In Kirchheim sagte man uns, dass nur Leute aufgenommen werden, die in Kirchheim wohnen.“ Das Ehepaar weitet die Suche auf ihre ehemalige Heimatstadt aus. „In Nürtingen werden wir auch nicht genommen, weil keine Kapazitäten mehr frei sind und wir nicht mehr dort wohnen“, sagt Sylvia Sossalla. Die gleichen Antworten bekommen sie in Dettingen. Und manchmal gibt es nicht einmal eine Antwort. „Wir haben E-Mails geschrieben, auf die wir gar keine Reaktionen bekommen haben“, sagt Sylvia Sossalla verärgert. „Wir haben dann resigniert.“

In Notfällen fährt das Ehepaar nach Esslingen. „Ich bin jetzt 55 und mein Mann 57 Jahre alt. Wenn wir akute Beschwerden haben, dann warten wir bis 18 Uhr und fahren in die Notfallpraxis.“ Das Ehepaar ist wütend über die Situation: „Man kommt sich hier irgendwie auf den Arm genommen vor“, sagt Sylvia Sossalla. „Da soll man zig Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen und findet keinen Arzt, der einen aufnimmt.“

Familie Sossalla steht mit dem Problem nicht alleine da. Dr. Jochen Maier, stellvertretender Vorsitzender der Ärzteschaft Nürtingen, hat immer wieder mit Menschen zu tun, die keinen Hausarzt finden. „Wir nehmen in der Regel auch überwiegend Patienten aus dem Nahbereich zur hausärztlichen Versorgung auf. Da ja potenziell ein Patient auch Hausbesuche brauchen könnte, ergibt das schon Sinn, denn durch weite Anfahrten verliert man wertvolle Zeit, in der andere Patienten nicht mehr behandelt werden können.“

Besonders im Mittelbereich Nürtingen, zu dem 16 Städte und Gemeinden gehören, sei die Situation angespannt. „In Nürtingen liegt nach diversen Praxisschließungen der Versorgungsgrad bei unter 90 Prozent“, sagt Maier und spricht von einer „drohenden Unterversorgung“. Die aktuelle Bedarfsplanung zeigt, dass sich die Lage im Mittelbereich Nürtingen sogar weiter verschlechtert hat. Insgesamt kommen auf knapp 114.000 Menschen 58,75 Hausarztstellen (Stand Februar 2025). Im Oktober 2024 waren es noch 60,75. Der Mittelbereich Kirchheim schneidet sehr viel besser ab. Auf 112.000 Menschen kommen immerhin 71,9 Hausarztstellen.

Daher sei es erstaunlich, dass Sylvia Sossalla auch im Mittelbereich Kirchheim, zu dem Lenningen gehört, abgewiesen wurde. Die KVBW gibt allerdings zu bedenken, dass es sich bei den Werten im Bedarfsplan nur um Anhaltspunkte handelt. Wie die Situation vor Ort tatsächlich aussieht, müsse regelmäßig überprüft werden.

Für Familie Sossalla gab es ein glückliches Ende: Nach gut sieben Monaten ohne Hausarzt hat das Paar für Mitte Juli nun einen Aufnahmetermin in einer Praxis in Dettingen bekommen.